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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 7
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Bondy, Walter: Maurice Utrillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0269

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MAURICE UTRILLO, NOTRE DAME. 1911—1912

der großen Massen, pikantes Herausheben farbiger
Akzente aus einem ruhigen Gesamtbild. Das bleibt
ihm immer.

Er malt nur ein paar Jahre so. Es ist besser,
viel besser wie alles, was die späten Impressionisten
gemacht haben. Aber es genügt ihm nicht, er hat
was anderes vor. Licht und Luft malen ist eines
der Probleme der Malerei, leuchtende angenehme
Farben ein zweites. Aber Utrillo sieht da noch
nicht das Letzte, das Größte, und er will das Größte.
Vor zwanzig Jahren hat van Gogh etwas gesehen,
wovon die Impressionisten nichts gemerkt haben.
Der junge Utrillo kennt van Gogh wohl kaum,
doch merkt auch er, wo's fehlt. Und nun geht
er grade drauf los.

Zuerst sucht er's im Großen, im Riesenhaften,

im Übermenschlichen. — Seine
Kathedralen liegen logisch auf sei-
nem Wege. Er malt Chartres, die
Notre Dame und viele andere.
Mächtig stehen die steilen Fassa-
den da; bis an den Rahmen vor-
stoßend. Ein schmaler Saum Him-
mel darf nicht mitreden. Oft malt
er nur ein Stück der Vorderseite;
aber nicht wie Monet das Stück,
das ihm grade vor der Nase liegt,
sondern die schwarzen Türme, zu
denen man hoch aufblicken muß,
die riesigen steinernen Pfeiler:
Symbole des Gottesgedankens. Er-
greifend ist eine grauschwarze
Notre Dame. Wie ein riesiges
dunkles Spitzentuch scheint sie das
Geheimnisvollste zu verhüllen.
Wir fühlen ähnliches vor den Oli-
venhainen van Goghs, hinter de-
nen die Sonne untergeht, als rote
Feuerkugel. Aber selbst van Gogh
erreicht an Kraft des Ausdrucks
nicht diesen Fünfundzwanzig-
jährigen; selbst er hat uns un-
sere Kleinheit nicht so fühlen
lassen — und unsere Größe. Un-
sere Gedanken schweifen rück-
wärts; sie machen Halt bei dem
größten aller Holländer. Bei
dem, der zuerst zeigen durfte,
daß Malerei Ausdrucksmittel auch
der höchsten Leidenschaft werden kann.

Unermüdlich schreitet Utrillo weiter. Er sucht
neue Symbole. In der Straße, im Hause, in der
Gartenmauer hat er sie gefunden. Was mag es
wohl sein, was unser Herz schneller schlagen läßt
vor diesen nüchternen Dingen? Utrillo fühlt es
und weiß es. Er hätte wie die anderen die üppige
Landschaft Frankreichs malen können. Aber er
sucht Gott wo anders. Ein schmalschultriges Bür-
gerhaus, eine rauchgeschwärzte Feuermauer, eine
weißgetünchte, oder aus unregelmäßigen, in Lehm
eingebetteten Steinen, aufgebaute Gartenmauer, ein
Kramladen mit buntem Aushängeschild, die bau-
fällige Hütte des Tagelöhners, die Schnapsbudike,
— all dies wird ihm zum Gleichnis des Höchsten.
Buchstäblich aus Mauern sind seine Bilder nun

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