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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 8
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Endell, August: Raum und Körper
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0318

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Um die Gleichheit zweier Dreiecke, die rechts
und links gewendet sind, zu erweisen, bleibt
ihr nichts übrig, als sie aus der Ebene heraus in
den Raum zu nehmen, sie umzukehren, bis sie sich
aufeinander legen lassen*). Höchst merkwürdig, daß
die strengste Wissenschaft mitten in den begrifflich
reinsten Anfangsgründen von Aufeinanderlegen
reden muß. Und doch sind die Dreiecke ohne jede
Widerrede ein und dasselbe. Noch schwieriger wird
der Fall, sobald es sich um ein Dreieck auf einer Ku-
gelfläche handelt, das von innen und außen gesehen
wird. Das ist auch ein und dasselbe, und doch sind
es zwei völlig verschiedene, die sich überhaupt
nicht zur Deckung bringen lassen. Zu jeder an-
geschauten Fläche gehört eben ein Ort im Raum,
eine Richtung, aus der sie betrachtet wird, gewisser-
maßen ein „Ich". Nur solche anschaulichen Flächen
sind uns gegeben, nicht die reine Fläche der Ma-
thematik, die wir erst durch ein Absehen (abstra-
hieren) von der Ich-Gebundenheit der Anschauung
im Denken gewinnen können. Es ist eine seltsame
und kaum beachtete Eigentümlichkeit unseres See-
lenlebens, das überall im Anschauen, Vorstellen,
Fühlen an das Unbegrenzte, Unendliche heranreicht
und in ihm wurzelt — Raum und Zeit sind nur
Einzelfälle und nicht die wichtigsten — und alles
Denken besteht im künstlichen Begrenzen, Zusam-
menfassen, Absehen vom Gleichgültigen, damit wir
die Fülle des Gegebenen meistern können, der Wille
ein klares Ziel bekomme, das Leben überhaupt mög-
lich werde.

Was haben diese knifflichen Überlegungen mit
der bildenden Kunst zu tun? Alles.

Wir sehen eine Landschaft, eine weite Ebene
mit Bach und Baum, Gebirge dahinter. Von allem
aber sehen wir nur die uns zugekehrten Ober-
flächen. Der Baum reißt für das Auge ein unsinni-
ges Loch in Bach und Berg. Das stört uns nicht.
Dahinter geht Bach und Feld irgendwie weiter und
wenn der Baum uns einmal wirklich irgend etwas
verdeckt, so erstaunen wir darüber nicht. Unsere
Anschauung ist nichts weniger als genau, selbst
wenn wir ganz genau hinzusehen meinen. Wir
sehen eben nur was vom Augenbilde wichtig ist,
sonst kämen wir mit keinem Anblick zu Ende.

Was aber sehen wir von einem Feld? Sicher
nur seine Oberfläche. Aber nicht wie eine Haut,
die auf dem Boden liegt, das wäre eine ganz lächer-

*) Dritter und vierter Kongruenzsatz.

liehe Vorstellung, denn wir wissen genau, daß unter
dem Ährenfeld Erde und Gestein ist. Das Wie geht
uns aber im einzelnen nichts an. Die Berge ver-
decken einander. Sie liegen in ganz bestimmter
Form, an ganz bestimmten Orten und Entfernungen.
Der Kartenzeichner kann sie aufmessen, und wir
erstaunen grenzenlos, wenn wir seine Aufmessun-
gen zu Gesicht bekommen, selbst bei Bergen, die
wir seit vielen Jahren gesehen haben.

Unser Sehen ist ein höchst ungefähres, durch
die Erinnerung ergänztes, willkürliches. Wir sehen
nur, was uns grade wichtig ist. Wir können es
jederzeit ergänzen, sobald wir es nötig haben. Da-
her der merkwürdige Irrtum, daß das Gesehene
etwas ganz Festes und Klares sei (daran ist vor
allem die Photographie schuld, die uns überall ein
bis zur Kleinlichkeit Bestimmtes vortäuscht), daher
die Unklarheit über die Grenzen unseres Sehens,
daher aber auch der erstaunliche Reichtum, wie
wir ein- und dasselbe auffassen können, daher die
merkwürdige Möglichkeit der Maler, aus derselben
Landschaft tausend verschiedene Wesen zu schaffen.
Daher auch die Ratlosigkeit, zu sagen, was uns
eigentlich an einer Landschaft gefällt. Beim Erklären
wird meist Angeschautes, Vorgestelltes und Ge-
dachtes willkürlich durcheinandergeworfen. Und
doch sind von dem erstaunlichen Gemenge des
Ansehens, Vorstellens, Denkens, die das Wahr-
nehmungsbild zusammensetzen, nur Sehen und An-
schauen einer Wirkung auf unser Gefühl fähig, kön-
nen für die künstlerische Wirkung eine Bedeutung
haben.

Auf manchen Teilen der Erde hat man die
Schönheit der Landschaft lange überhaupt nicht
bemerkt. Alle Aufmerksamkeit gehörte dem nackten
Körper. Er bildet jedenfalls eine ringsum geschlos-
sene Fläche. Auch diese können wir nicht auf ein-
mal übersehen, wir müssen das den Augen Ge-
gebene durch das nicht Sichtbare früher Gesehene
ergänzen. Auch das geschieht reichlich ungenau.
Innerhalb dieser Oberfläche liegt der Körper. Aber
von diesem stellen wir nur das wenigste uns deut-
lich vor. Für unsere Freude am nackten Körper
wäre es geradezu vernichtend, wollte man das In-
nere mit allen Muskelschichten, den Eingeweiden,
dem Blutumlauf und den Verdauungsvorgängen
sich vorstellen, wie etwa der Arzt es tut. Die Schön-
heit des Körpers liegt ganz im Schaubaren, das
wir wiederum nicht als Haut empfinden, sondern

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