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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 8
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Endell, August: Raum und Körper
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0321

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Von hier wird deutlich, warum das stärker
empfindende Barock den Zentralraum, den die
Renaissance literarisch begrifflich als etwas Beson-
deres verehrte, in den Langraum, in die Ellipse
überführte, die zwei eigene Achsen hat. Der Kreis
als Grundriß ist gar nicht erlebbar.

Indem wir in einen Kreisraum eintreten, geht
vor uns her eine Achse durch unseren Kopf und
macht aus dem Kreis eine Mißgestalt.

Zweifellos ist die raumbegrenzende Wand ein
Körper, aber wir erleben nur seine Oberfläche,
wohinter irgend etwas ist, was aber nicht anschau-
lich werden kann, und die Gotik, die sich immer
bemüht, den Körper klar zu machen, macht die
Wand anschaulich durch ein besonderes Hervor-
heben ihrer Stärke in den schrägen Laibungen. Das
Gewölbe ist für die Anschauung auch nur eine
Oberfläche. Für den Baukundigen ist es oft störend,
wenn er es sich nach seiner Stärke und seiner
Hintermauerung vorzustellen sucht, denn dann geht
alle wirkliche Anschauung verloren.*)

Säulen und Pfeiler sind, wie alle Flächen, nur an-
schaulich gegeben und müssen in der Vorstellung aus
der Erinnerung ergänzt werden; daß sie körperlich
ausgefüllt sind, wird bei der Anschauung mitempfun-
den. Am leichtesten geht das beim kreisrunden goti-
schen Pfeiler und seinen Zusammensetzungen, wo
alle Teile leicht auseinanderzulösen sind. Die kanne-
lierten und schwellenden Säulen machen das schon
viel schwerer und das Kapital bleibt Fleck und Schat-
ten, damit der Oberflächencharakter beibehalten
bleibt. Der körperlich scheinende gotische Pfeiler
aber verlangt einen körperlich aufgelegten Zierat.

Zwischen dem wirklichen Gebäude und dem
wirklichen Kunstwerk ist sonach eine weite Kluft.
Sie berühren einander kaum, sind zwei verschiedene
Wesen. Schon weil bei den großen und kleinen
Formen die Erkennbarkeit des wirklich Gegebenen
außerordentlich verschieden ist. Das Pantheon-
Gewölbe ist himmlische Musik, dieselbe Kuppel 60 m
höher gesetzt im Petersdom bleibt stumm, und die
Geschichte des Bauens ist voll von Beispielen wie
die beabsichtigte Form sich umwandeln muß, um
den beabsichtigten Klang zu ergeben.

In der Normandie stellte man kreisrunde Pfeiler in
die Ecken der Mauern, aber die Reflexe und Schatten
hoben die Wirkung der Rundung auf, und so kam

*) Darum sind alle moralischen Betrachtungen über
echte und unechte Gewölbe überflüssig.

man dazu, dieRundsäulen zwischen zwei Hohlkehlen
zu legen und so mit einer ganz falschen Form die
ursprünglich beabsichtigte Wirkung zu erreichen.

Der Schatten ist ein tückischer Geselle. Er ist
in den verschiedenen Ländern ganz verschiedener
Art. Darum kann man nicht römische Gesimse
ohne Schaden nach Berlin übertragen. Er macht
die beabsichtigte Form tot oder lebendig, je nach
seinen Launen. Daß die Barockmeister die Schatten
beobachteten, um ihre Formen klingend zu machen,
hat ihnen Burckhardt nie verziehen, er suchte in
der heimlichen Ästhetik seiner Bücher die Form
an sich und betrachtete sie als das einzig wichtige.
(Dem Barock ist nicht die Form als solche, son-
dern Licht und Schatten eigentliche Form des Aus-
drucks sagt er einmal im Cicerone.) Darum ging
Burckhardt an Michelangelo vorüber.

Jedenfalls ist das Gebäude als solches nicht das
auf die Empfindung wirkende, das Gebäude an
sich niemals das Kunstwerk. Darum sind alle Ver-
suche, die Schönheit des Bauens an Maß und Zahl
zu binden, vollkommen aussichtslos.

Die Eigentümlichkeit des Sehens bedingt allein
schon, daß zwischen dem Wirklichen und dem
Gesehenen ein großer Unterschied ist, daß Raum
und Körper nur bedingt unvollständig uns gegeben
sind, daß sie je nach dem Ziel unseres Wollens
ganz verschieden erscheinen. Anders sieht der
Jäger, anders der Bauer die Natur, anders der Künstler.
Jene zielen nach Lebenserwerb, dieser nach der
Freude am bloßen Sehen. Das Nacheinander des
Aufnehmens ist beide mal ganz verschieden bei
demselben Gegenstand, je nach der Reihenfolge
des Betrachtens und der Stelle des Verweilens.
Der Künstler sucht den Weg des höchsten Genießens,
so müssen auch seine Werke betrachtet werden.
Sie setzen ein Hineinsehen, eine eigentümliche Ein-
stellung voraus. Darum fordert die Kunst jeden
Landes und jeder Zeit ein besonderes Hineinleben,
nur dadurch wird sie dem Betrachter wirklich
lebendig. Darum läßt sich immer nur ein ganz
kleiner Kreis von Kunstwerken wirklich auf ein-
mal übersehen. Der Versuch, größere Strecken
begrifflich zusammenzufassen, muß notwendig zur
Verstümmelung des lebendigen Eindruckes führen.
Darum kann es keine Kunstgeschichte als Wissen-
schaft geben, wohl aber kann sie eine Lehre sein,
ein Hineinführen in das Kunsterleben der Kunst-
werke verschiedener Zeiten.



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