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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 8
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Meier-Graefe, Julius: Eine französische Ausstellung in der Wiener Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0333

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CAMILLE COROT, DIE MÜHLE. PARIS, LOUVRE

AUSGESTELLT IN DER WIENER SEZESSION

Es kann einer viele Bücher über Kunst schreiben, bis
er diese wirksame Demonstration erreicht, selbst wenn er die
Tatsachen beherrscht. Man wandelt durch angenehme Räume,
genießt, ohne auch nur einen Augenblick von Fülle be-
drückt zu werden, und erlebt promenierend eine ruhmreiche
Geschichte. Das Schicksal des Individuums, das sich im
neunzehnten Jahrhundert vollzog, hat doch wohl in der
Kunst die würdigste und noch dazu sachlichste Sphäre ge-
funden. Moll stellt die Etappen dar, die kleinen und namentlich
die großen. Mit dem Takt des guten Europäers wurde auf
die rechte Verteilung der Quantitäten gehalten. David
und Ingres haben in Europa nicht die Bedeutung, die ihnen
der Franzose zuschreibt, so gut wir im Zeitalter der Auf-
lösung die Rückkehr zu Ingres begreifen. Auch die Schule
von Barbizon, die man noch vor dreißig Jahren mit allem
Pomp vorgeführt hätte, tritt in den Schatten. Ein paar
Kleinigkeiten von Rousseau, Millet, Daubigny genügen. Aber
Daumier — da fängt es an. Den hätte Moll gern noch
stärker betont. Aber Delacroix, zumal Delacroix, der heim-
liche König, und Corot, der große Wahrheitsapostel Corot,
nicht der flaue Lyriker; diese beiden gewaltigen Führer des
Jahrhunderts. Moll hat alles aufgeboten, um sie würdig zu

präsentieren und von beiden zahlreiche, zum Teil erschöp-
fende Werke gebracht; von Delacroix vor allem die wenig
bekannte Tigerjagd der Sammlung Chauchard im Louvre
und den Weißlingen von Dr. Herman Eißler in Wien; von
Corot unter anderem die schöne Brücke derselben corot-
reichen, an wirklichen Corots so armen Sammlung im Louvre,
und ein prachtvolles Frauenbildnis aus dem Besitz des Baron
Herzog in Budapest. VonCourbet fehlen ein paar ursprünglich
zugesagte Hauptstücke. Immerhin erkennt man den großen
Materialisten in einigen Landschaften, den unübertrefflichen
Maler in der bezaubernden Studie nach einer liegenden Frau,
den magistralen Porträtisten in der schönen Variante
des Homme blesse' (im Louvre), die der österreichischen
Galerie gehört. Manets „Balcon", aus dem Luxembourg,
bildet ein Zentrum. Mit wohltuender Sachlichkeit wird alles
Richtungsmäßige des Impressionismus,Claude, Monet, Pissarro,
Sisley, erst recht die rationalistische Fortsetzung, Seurat und
Signac auf den zweiten Plan verwiesen. Den Vordergrund be-
haupten die Meister, die von keiner Formel betört wurden, auch
wenn sie sie benutzten: Cezanne und Renoir. Die beiden
spielen in diesem Abschnitt die Rollen, die auf einer größeren
Bühne Delacroix und Corot zukommen. Jeder beherrscht

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