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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 10
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Brinckmann, Albert E.: Baugesinnung und Naturgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0407

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Maß zulassen. Mit den tektonischen Elementen des
Hausbaus strebt eine bewußt gestaltende Stadtbau-
kunst zur letzten, ganz großen architektonischen
Formung, — in den naturgegebenen Elementen
der Gartenkunst bleibt bei aller Zucht der Drang
lebendig, sich freizumachen und sich aufzulösen
in das stete Werden der Natur, die alle mensch-
liche Form wieder zerstört: das Geformte der
Gartenanlage steigt aus dem lebendig Wandelbaren
auf und sucht zu ihm zurück. So ist auch mit
der Forderung nach Tektonik das Wesen des Gar-
tens nur halb erfaßt. Der strenge Wille der Re-
naissance, in solcher Tektonik sein wichtigstes Ziel
sehend, erscheint rückschrittlich gegenüber der
Innigkeit des umhegten mittelalterlichen Gärtleins.
Denn in diesem lebten Blütenstrauch, Rosenbusch,
Blumenstauden in individueller Freiheit; eine Liebe
zu allem Naturgeschaffenen wirkte lebendig in ihm,
die das Menschlich-Einmalige der Form mit dem
immerwährenden Wandel der Natur verband. So
der sonnenwarme, duftdurchwehte Garten, den
Boccaccios Decamerone am Beginn des dritten
Tages schildert: das eingezogen Idyllische ist hier
nur Teil eines umfassenden Naturgefühls.

Erkennt man so im Garten den Mittler zwischen
Freiheit der Natur und Tektonik des Hauses, der
darum stets abhängig bleibt von Gesinnung und
Gefühl seiner Entstehungszeit, so müssen sich für
Mittelalter, Renaissance und schließlich für das
siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert kurze For-
mulierungen finden lassen, die zunächst ganz all-
gemein diese zweifachen Beziehungen feststellen.
Wie ist die Art des Bauens und wie ist das Ver-
hältnis des Menschen zur umgebenden Natur?
Wie paßt sich der Garten an und wie gleicht er
Gegensätze aus?

Die große architektonische, wenn auch niemals
wahrhaft monumentale Schöpfung der Gotik ist
fast stets ein vielfaches Konglomerat. An gotischen
Domen läßt sich dieses Nacheinander- und Zu-
einanderkommen von Chor, Langhaus, Kapellen,
Nebenkirchen beobachten, weit deutlicher noch an
den profanen Bauwerken, den Burganlagen, die
mit verschiedenen Sonderbauten für Ritter, Frauen,
Gesinde, mit Wehranlagen und Wirtschaftsräumen
ihre soziologische Struktur verdeutlichen, nicht
dieser nach außen die vereinheitlichende Ordnung
geben. Bei aller innigen optischen Verwandtschaft
bleiben die Teile isoliert, für sich abgeschlossen.

— Die Natur in ihrem ganzen Ausmaß ist dem
frühen Mittelalter wenn auch nicht efwas Feind-
liches so doch immer etwas Fremdes. In seiner
psychozentrischen Einstellung betrachtet der mittel-
alterliche Mensch zunächst auch die irdisch sinn-
lichen Werte als Erzeugnisse des Geistes, er gesteht
der Natur kein Eigenleben zu. Die Naturbeobach-
tung kommt nicht über begrenzte Anfänge hinaus
und ordnet (wie etwa in den botanischen Arznei-
büchern) einen kleinen Beobachtungsausschnitt nach
vorgefaßter Meinung und nach bestimmtem Zweck.
In der bildenden Kunst sind jeder Naturnach-
ahmung a priori Grenzen gezogen. Erst im drei-
zehnten Jahrhundert wandelt sich das Verhältnis
zur Natur, zunächst in der Dichtung; Ende des
vierzehnten Jahrhunderts dann auch mit vollem
Bewußtsein in der Malerei. Man ist nun in sie
verliebt mit junger Leidenschaft und Zärtlichkeit.

Alles spiegelt sich wieder in der Anlage des mittel-
alterlichen Gartens. Dieser ordnet sich nicht dem
Hause zu, er ist ein besonderes Stück für sich,
irgendwo näher oder entfernter vom Hause an-
gelegt. Er ist erfüllt mit eigenem Leben, das den
Besucher sogleich in eine besondere moralische
Stimmung versetzt. Denn wie der mittelalterliche
Burgkomplex und der Klosterbau ihre traditionellen
gesellschaftlich verpflichtenden Räume und Ge-
mächer haben, so ist der Garten die Stätte einer
Liebesgeselligkeit, die von sinnierender Innigkeit
bis zum erotischen Genuß führt — und diese Be-
stimmung blieb ihm bis ins achtzehnte Jahrhundert.
Seine Maße sind gering, erweiterte Anlagen setzen
sich aus gesonderten, auch inhaltlich verschiedenen
Teilen zusammen. Er ist stets umhegt und ab-
geschlossen gegen die Grenzenlosigkeit der Natur,
ohne jedoch die heiteren Beziehungen zu allem
Naturgeschehen aufzugeben, denn frei wachsen in
ihm Blumen und Bäume. Dieser hortus conclusus
wird in den Gedichten des Mittelalters, in den
Darstellungen der Miniaturen und frühen Kupfer-
stiche immer wieder vor Augen geführt. In seinem
Rosenhag weilt die Madonna, Liebespaare plaudern
an seinem Brünnlein. —

Langsam formt sich das Beieinander der Teile
eines Baukonglomerats zur Einheit um, die durch
Symmetrie und Harmonie bestimmt wird. Die
europäische Bedeutung der italienischen Renaissance
liegt praktisch wie theoretisch in der bestrickenden
Formulierung dieses Einheitsgedankens, nachdem

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