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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 11
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Scheffler, Karl: Lovis Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0429

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Die Hilflosigkeit lehrte sehen, was Corinth vorher,
wo seine Kunst viel mehr Muskel als Nerv hatte,
nicht gesehen hat: das Geheimnis. Dieses ganz
darzustellen ist ihm ja nie gelungen, doch klingt
es in vielen Bildern des letzten Jahrzehnts an,
lauter oder leiser. Es ist jetzt nicht der Augen-
blick, zu untersuchen, inwiefern Corinths Kunst
nach der Krankheit besser und schlechter ge-
worden ist. Es kann jedoch gesagt werden, daß
sie freier vom Atelier geworden ist, in dem Augen-
blick, wo die Bewegungsfreiheit doch stark ge-
hemmt war. Corinth erscheint im letzten Jahr-
zehnt ergriffener und seine Malerei ergreift darum
stärker. Und dieses eben, diese neue Einfalt — bei
aller selbst im Zittrigen sich erhaltenden Bravour
und Palettenmäßigkeit — ist eine sittliche Tat.
Es ist gesagt worden, nicht darauf käme es an,
mit fünfundzwanzig Jahren Talent zu haben, son-
dern mit fünfzig. Der Ausspruch läßt sich dahin
variieren, es käme nicht darauf an, in der Fülle
der Jugendgesundheit den Schwung zum Schaffen
zu haben, sondern auch noch als ein von Alters-
krankheit halb Gebrochener. Diesen Beweis ele-
mentarer Triebkraft hat Corinth erbracht. Als

Thoma starb, vor wenigen Monaten, schrieb er
uns: „Ran an die Arbeitl" Die Arbeit war ihm
zum Glauben geworden. Denn er, der malend
und zeichnend so gern ironisierte und spottete,
war in seines Wesens Grund ein sehr unschul-
diger Mensch, der unbedingt dem kategorischen
Imperativ eines ungeschriebenen Pflichtgesetzes
folgte.

Die Meinungen schwanken noch, wie Corinths
Lebenswerk endgültig zu beurteilen sei. Es werden
noch Jahre vergehen, ehe ihm der ihm zukom-
mende Platz in der Geschichte der deutschen Kunst
bestimmt wird. Schon jetzt ist es aber gewiß, daß
Corinth zur rechten Zeit eine Bresche geschlagen
hat, daß er zu den wenigen vorzüglichen Reprä-
sentanten moderner deutscher Malerei gehört. Man-
ches von dem, was er gemalt hat, wird nicht Stand
halten; was aber Stand hält, gehört zum Besten
unseres neueren Kunstbesitzes. Und Corinths Ge-
stalt gehört zu den eigentümlichen, mit keinem
andern vergleichbaren und darum unvergeßlichen
Menschenerscheinungen unserer an solchen Voll-
naturen eben jetzt recht armen Zeit.

Karl Scheffler.

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LOVIS CORINTH MALEND IN EINEM GARTEN IN WESTEND
PHOTOGRAPHIERT IM MAI 1925

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