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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 11
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Neumeyer, Alfred: Berliner Bühne, [2]: Sommer 1925
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0463

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Bühnenhandlung des Haupt-
teils. Granach ist nun aller-
dings nicht der Darsteller,
der durch Einordnung dem
Ganzen dient. Überhaupt
hörte man viel falsche Hof-
schauspieler-Töne.

Im Geiste der Regie war
denn auch Pirchans Bühnen-
bild mit den drei riesigen,
raumbeherrschenden Klub-
sesseln, ein äußerst wir-
kungsvoller,aber etwas grob-
schlächtiger Witz.

Die Oper brannte nicht
zu Paris, sondern zu Berlin,
sie brannte gewissermaßen
unter Militärmusik nieder.
Darin lag der geographische
Stil-Irrtum dieser Auffüh-
rung.

Arnolt Bronnen,
„Rheinische Rebellen".
Staatliches Schauspielhaus.
Regie: Jeßner. Bühnenbild:
Pirchan.

Die Gefühle beim Ver-
lassen des Theaters und beim
Überprüfen des Eindruckes
sind durchaus zwiespältig.
Das Theaterblut Bronnens,
verbunden mit der Arbeit
eines großen Regisseurs, ver-
einen sich zur Darbietung eines sprechenden Films, dessen
Wirkung zeitweise zwingend ist. Und die Glut und
Innerlichkeit der Spieler Steinrück, Straub und Müller
faßt ihrerseits wie ein zu kostbarer Reif die Talmisteine
ein, die Bronnen — fast möchte man sagen — auf den
Markt geworfen hat. Darsteller und Regisseur bedürfen
des Schauspiels ihrer eigenen Zeit zur Selbstdarstellung und
nur wo eine solche erfolgt, bleibt das Theater dem leben-
digen Blutkreislauf angeschlossen, aber es ist für Deutsch-
land gewiß auch ebenso betrüblich, diese Notwendigkeit nicht
mit besseren Beweisen belegen zu können. Das Hochziehen
der schwarz-rot-goldenen Fahne am Ende des Schauspiels
bürgt noch nicht für das Zeit-Drama; man hat die voran-
gehende, ungemein häßliche Schlafzimmerszene noch nicht

E. MUNCH, MÄDCHEN IM TREIBHAUS

AUSGESTELLT BEI COMMETER, HAMBURG

Steigerung.

vergessen. Über die Un-
wahrscheinlichkeit dieser
schon aktuell verwesenden
Handlung, über das Unechte
(wenn auch sehr begabte)
der sprachlichen Diktion
mehr zu sagen, wäre nur
negative Arbeit. Wenn die
fünf Akte dennoch drama-
tisch angespannt wirkten, so
dankt man davon nicht we-
nig Jeßners Rotstift, und
wenn die Darstellung sich
so überraschend stark zeigte,
so bewies das nur, wie sehr
der Schauspieler das Gestal-
ten zeitgeborener Stoffe als
Schöpfungsglück genießt.
Pirchan hat erneut sei-
nen Sinn für Farbe und seine
architektonische Raumbega-
bung erwiesen. Die Szene
auf derTheaterbühne, höchst
simpel in seinen Hilfsmit-
teln, erfüllte den Zweck pa-
thetischer Wirkung aufs ge-
schickteste.

Unter der vereinten Be-
mühung von Jeßner und
seinen Spielern erlebte man
gegenüber der Textbuch-
lektüre eine überraschende
Wirkungs- und Bedeutungs-
Aus Kolportage wurde fast Schicksal.
*
Der „Lahrer hinkende Bote" pflegt mit dem Satz zu schlie-
ßen : „Der Kalendermann nimmt hiermit vom lieben Leser
Abschied". Er erspart sich Prophezeiungen fürs künftige Jahr,
da er in hundertjähriger Erfahrung gelernt hat, das Unvorher-
sehbare als das eigentliche Wunder zu verehren. Mit dem,
was das unerschöpfliche Meer des zeugenden Geistes an
seinen Strand geworfen hat, baut er kleine Muschelspiele und
„nützliche Belehrungen". Des Rezensenten Erfahrungen sind
noch nicht so alt, aber er wüßte, am Ende eines Theaterjahres
angelangt, auch nichts Besseres und Richtigeres zu sagen
als sein Freund der „Lahrer hinkende Bote":
„Der Kritiker nimmt hiermit vom lieben Leser Abschied".

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