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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 12
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Zucker, Paul: Bilanz der Architektur, [2]: und wir?
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0491

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gebracht, daß außerhalb einiger Kunstschulen das Wort
„Kunstgewerbe" fast als Schimpfwort wirkt. Ein kunst-
gewerblich gedeckter Tisch, eine kunstgewerblich ange-
zogene Frau, ein kunstgewerblich dekorierter Raum sind
bereits mit dem leisen Hauch der Lächerlichkeit behaftet,
bedeuten Symptome einer seelischen Haltung, wo an die
Stelle des Geschmacks das Rezept, an die Stelle der Selbst-
verständlichkeit die Ostwaldsche Farbentafel und an die
Stelle des organischen Wachstums der „entwerfende" Künst-
ler getreten ist. Übrigens ein Schicksal, von dem keines-
wegs nur Architektur und Kunstgewerbe betroffen sind, son-
dern das beispielsweise in der Entwicklung des Tanzes seine
Parallele findet.

Und noch bedauerlicher als dieses „entworfene Kunst-
gewerbe" ist die Reaktion darauf, die Rückkehr zu einem
zwar geschmacklich sicheren, aber der originellen schöpfe-
rischen Kraft völlig entbehrenden Eklektizismus, zu einer
Überbewertung der Tradition, die mit der Gebärde einer
sicheren Selbstverständlichkeit alle neuen künstlerischen Be-
strebungen den „Kriegsgewinnlern", den neuen Reichen
einerseits, den sozial gestützten Bewohnern von Siedlungs-
häuschen andererseits, überläßt. Eine Reaktion, die natür-
lich weit über das Ziel hinausschießt. Die beispielsweise
bewirkt, daß Deutschlands internationale Repräsentation,
seine großen Schiffe, wieder in rein historischen Stilformen
ausgestattet werden, — ein kaum erträglicher innerer Wider-
spruch zum Wesen dieser modernen Verkehrsmaschine.

ERNST TE PEERDT, DAMENBILDNIS. 187g

wundert werden, das kurze Gedächtnis, das sich der näch-
sten Vergangenheit nicht erinnert, die mit ähnlichen, mit-
unter sogar den gleichen Schlagworten ebenso überzeugungs-
kräftig in die Fanfare stieß. Überblickt man aber ernsthaft
die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre, so ergibt sich
doch wohl, — daß — mit aller Vorsicht und allem not-
wendigen Respekt sei dies ausgesprochen —, daß das wahr-
haft Bleibende wohl nicht an diesen Stätten geboren wurde.
Gewiß, auch von dort kamen wertvolle Anregungen, wur-
den ursprünglich schöpferische Ideen in Bewegung gesetzt,
nur daß sie allzu schnell zur Mode, ja schlimmer, zum
Dogma erstarrten. Womit ihr Untergang binnen eines Jahr-
fünfts besiegelt war.

Man verzeihe diesen Versuch ehrlicher Selbsterkenntnis,
des Suchens nach der hauptsächlichen Fehlerquelle, um
deretwillen die Fülle produktiver und origineller deutscher
Formgedanken doch noch nie, innerhalb der letzten dreißig
Jahre, zu einer organischen und nur einigermaßen echten
und geschlossenen Formensprache geführt hat. Alles blieb
unverbindlich, — ohne Reichweite, ohne tiefere Verwurze-
lung, ohne die notwendige innere Schwere! Keineswegs
bedeutet diese Selbsterkenntnis etwa die Anerkennung eines
imaginären angelsächsischen Durchschnittsgeschmackes und
des unerträglich banalen Niveaus einer uniformen Zivili-
sationssphäre der Formensprache internationaler Hotels.

Soweit die Theorie I Was ist nun die „Bilanz der Mo-
derne" in der Wirklichkeit? Wir haben es so herrlich weit

Wenn wir uns weiter ehrlich bemühen, die nicht immer
ins Bewußtsein tretenden immanenten Voraussetzungen alles
kunstgewerblichen und architektonischen Schaffens uns zu

KARL HOFER, DIE BETRUNKENE

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