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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Weese, Artur: Der Landsitz Berlepsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0015

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Der Landsitz Berlepsch.

6. Landsitz Berlepsch. Partie aus dem Treppenhaus.

hinzunehmen. Wie jedes neue Prinzip tritt auch dieses
schroff und rücksichtslos auf. Es ist oft über das Ziel
hinausgeschossen. Vor allem hat sich nur allzu vor-
dringlich ein femininer Zug eingeschlichen, ein sinn-
lich-weiches, wollüstiges Wesen. Zn Darmstadt steckt
viel zu viel Wien. Der gesunde Grwtdgedanke ist
durch jugendliche Peißsporne und echte Effekthascher
ins Komische und Lächerliche verzerrt. Aus dem
Symbolismus ist eine orakeldunkle Wystik geworden,
die einem einfachen Sterblichen unfaßbar bleibt. And
mehr noch als das, die rein wirtschaftliche Grundlage
dieser bürgerlichen Privathäuser entspricht fast nirgends
den thatsächlichen Verhältnissen derjenigen Kreise, die
anr ehesten bereit wären, diese Wusterbauten für ihre
Bedürfnisse sich zu beherzigen. Auch hat es gewiß
jeden freund der guten Sache befremdet, daß die
jungen Weister jeden Anklang an das Bestehende
und historisch Gewordene mit der übertriebenen Angst-
lichkeit der Neophyten vermieden haben. Nirgends
— mit Ausnahme des paufes pabich — hat ein
gutes Stück Plastik und Walerei, eine feine kunst-
gewerbliche Arbeit der Alten Platz gefunden, und
man muß es auch zugeben nirgends hätten sich
diese „Antiquitäten" mit den neuen Formen ver-
tragen; wie die stolze Zugend meint, weil die alten '

Sachen gegenüber diesem neuesten Stil nicht mehr
hätten bestehen können! -

peute wollen wir nun ein paus betrachten, das
auch ein neues modernes paus ist, aber doch in
seinen: Zweck, in seiner architektonischen und dekora-
tiven Ausgestaltung und in künstlerischem Zusammen-
hang mit den: Traditionellen und Bewährten sich als
eine besondere Leistung heraushebt. Das paus von
Berlepsch ist nicht für eine durchlaufende Wenge,
die gern erstaunen möchte, gedacht. Es hat nichts
:nit den gewagten und durch die Konkurrenz aufge-
nötigten Wittel:: des Ausstellungswesens zu thun,
sondern dient seinem Bewohner als eine Behausung,
in der er nicht bloß repräsentieren, sondern auch be-
haglich leben und bequem wohnen kann. Es war
nicht nötig, alle finanziellen und künstlerischen Kräfte
auf Kosten der eigentlichen Wohn- und Wirtschafts-
rärnne in einer Pracht- und Prunkhalle, wie in einer
blendenden Girandola, zu verpuffen. Pier hieß cs
Haushalten und die dauernden Bedürfnisse eines
ganzen Lebens beachten, nicht bloß ein Zdealbild
zur Schau stellen und in einen: entscheidenden Augen-
blick durch das Aufgebot aller Kräfte den Sieg er-
ringen. Es ist kein Zweifel, daß den hochbegabten
Darmstädter Künstlern bei dem Entwurf und der Aus-
führung ihrer Phantasieschöpfungen die Ruhe und
der Seelenfriede fehlte, weil es den: bösen Nachbar
nicht gefiel. Bei dem Berlepschhause lag die Sache
anders: Kein Festbau für die Öffentlichkeit, auf
stolzer pöhe emporragend, sondern ein eigenes Pein:
für sich und die Familie mitten in ein stadtfernes
Versteck im Walde hineingebettet.

Wan erwarte in diesen Zeilen keine kritische
Erörterung, die das Einzelne und Kleinste mit fach-
männischer Genauigkeit auseinandersetzt. Es sei
den: Freunde gestattet, seine Eindrücke und Gedanken
vorzutragen, die das Ganze in ihn: geweckt hat.

Das paus liegt in der entferntesten Ecke einer-
sogenannten Villenkolonie, in den: ganz von Wald
eingeschlossenen Warna - Eich bei planegg, das in
einer halben Stunde n:it der Vorortbahn von Wünchen
aus zu erreichen ist. Wer den Weg zun: Berlepsch-
hause durch diese eben erst entstehende Siedelung
nimmt, um ein Kunstwerk zu sehen, der ist genötigt,
sich erst durch den puren Anverstand und blöden
Schematismus hindurchzuarbeiten. Uber die mannig-
fachen Vorteile der Villenkolonien an der Peripherie
unserer Großstädte noch ein Wort zu verlieren, ist
unnötig. Das gesunde Wotiv liegt offen zu Tage.
Aber warum müssen bei der Gesan:tanlage dieser
Kolonien all die Schrecknisse unserer Stadterweite-
rungskommissionen auch aus den: Lande wiederholt
werden? Gerade, mit dem Lineal gezogene Straßen-
 
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