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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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Weese, Artur: Der Landsitz Berlepsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0022

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Der Landsitz Berlepsch.

keinem Winkel die weiche elegische Bequem-
lichkeit ein Plätzchen gefunden hat. Dem Lebens-
genuß, der heitern Freude eines echt mensch-
lichen Weltkindes ist der Eintritt nicht verwehrt,
und in breiten Sophaecken, in behäbigen Lehn-
stühlen, in der Behaglichkeit der Wohnstube
und der farbenfrohen Festlichkeit des Eßzimmers
haben sich alle guten Geister der Muße und
freundschaftlicher Gastlichkeit eingenistet. Aber
doch ist zu bemerken, daß die offenherzige, ziel-
bewußte Rührigkeit des Meisters im Tageslauf
der Ruhe nur gemessene Zeit bewilligt. Das
Leben wird hier nicht puritanisch aufgefaßt,
aber die Energie, der klare, feste Wille, der
Aonzessionen abhold ist und den geraden Weg
immer für den besten hält, hat so mancher
Linie eine Eckigkeit und mancher Partie eine
kurzangebundene Sachlichkeit gegeben, die als
ein logischer Tharakterzug hiugenommen werden
muß. Wirklich erwärmend wirkt der geistige
Reichtum der Ausstattung. Überall bleibt der
Blick hängen an allerhand altem Aunstwerk.
Es ist nichts nach dem Sinn des antiquarischen
Sammlers oder effektvollen Dekorateurs, denn
es bildet den pausrat des Formen bildenden,
in Farben denkenden, künstlerisch produktiven
Aopfes, der Anregungen dort findet, wo der
Aenner, Forscher, Liebhaber achtlos vorüber-

;8. Villa Tobler. Partie aus dem Speisesaal, ksolzwerk:
Grau gebeizte Eiche mit hellroten Mahagonifüllungen; aus-
geführt von Wolff & Aschbacher, Zürich; Wandbrunnen
in Marmor von Schmidt & Schmidtweber, ebenda.

geht. Für einen Menschen, der gewohnt ist, syste-
matisch zu arbeiten und sein Wissen und Aönnen in
einer gewissen Ordnung zu handhaben, ist die sach-
liche und doch geschmackvolle Verwertung'aller dieser
Achtbarkeiten als dekorativer Schmuck ungemein wohl-
thuend. Rein einziges Zimmer ist als ein anspruchs-
volles Schaustück hergerichtet, uin Besucher zu über-
raschen und zu verblüffen. Aber überall zeigen
Gesäße, Bilder, Stiche, seltene Schmucksachen, ferner
Naturmerkwürdigkeiten, Farbenwunder, märchenhaft
schöne Schmetterlinge, abenteuerlich geformte Aäfer,
Arystalle und seltenes Gestein, daß dieser vielseitig
gebildete Geist ein ganzes Leben lang mit allen
Organen aus dem unendlichen Schatz der Natur und
der Aunst sich bereichert, ernährt, geformt und er-
weitert hat. Für einen Mann wie ihn wäre es
eine Farce gewesen, hätte er seine ganze Vergangen-
heit ausstreichen wollen, um sich in ein paus zu
setzen, das das voraussetzungslose Formen- und

[7. Villa Tobler. Speisesaal. Buffet in grau gebeizter Eiche mit
hellroten Mahagonifüllungen, Beschläge schwarz; ausgeführt von
Wolfs 6c Aschbacher, Zürich.
 
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