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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 52.1901-1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.7007#0134

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Drafitf

Ar. 3.

München, 3. Hanuar 1902.

Ar. 3.

Ein Aufruf an die Künstler

und

Kunstgewerbetreibenden Deutschi ands.

2 Pariser Ausstellung 1900 zeigte aller Welt, dass Deutschland nicht minder von der
mächtigen Bewegung der Gegenwart auf künstlerischen Gebieten erfasst worden ist, als
andere Culturstaaten.

Man hat diese mächtige Welle mit allen möglichen Namen zu bezeichnen versucht
11er Schattierungen hat es nicht gefehlt.

Kulturbewegungen solcher Art entstehen, wachsen, verbreiten sich und kommen schliesslich
zum Stillstände, um von neuem überholt zu werden, unbehindert vom Willen Einzelner, welche stets
das Gestern dem Heute, das Heute dem Morgen substituieren möchten. Kulturbewegungen solcher
Art kommen vielmehr mit Naturnotwendigkeit, wie Sturm, wie Sonnenschein, wie Donner und Blitz
durch stärkere Gewalten ausgelöst werden, als durch menschliches Wollen. So wird auch die Be-
wegung, die seit wenigen Jahren einem Anschauungswechsel auf künstlerischem Gebiete zum Durch-
bruch verhalf, unaufhaltsam ihrem Ziele zustreben und eine neue Ablagerung bilden über den unge-
zählten Schichten, welche die Kulturschwankungen von Jahrtausenden niedergeschlagen haben. Was
gut, was echt, was von wahrem künstlerischem Geiste durchweht ist, wird bleiben. Kommende
Geschlechter werden ihm gerecht werden, wie wir heute allem, was uns die Vergangenheit an
Schönem und Grossem bietet, in klarer Anschauung gegenüber stehen, wissend, dass das, was wirk-
liche Kunst ist, alle Metamorphosen der Mode überdauert hat und stärker war, als der Wechsel
der Tagesmeinung, die ebenso rasch bereit ist, Lorbeeren zu streuen als das »Steiniget ihn« in alle
Welt hinaus zu posaunen.

Wir stehen mitten in einer Entwicklungs-Phasis, deren weiteren Verlauf Keiner voraus-
wissen kann. Es ist, wie Semper in seiner klassischen Vorrede zum »Stil in den technischen und
tektonischen Künsten« sagt: »Der nächtliche Himmel zeigt neben den glanzvollen Wundern der
Gestirne mattschimmernde Nebelstellen — entweder alte, erstorbene, im All zerstobene Systeme, oder
erst um einen Kern sich gestaltender Weltdunst, oder ein Zustand zwischen Zerstörung und Neu-
gestaltung. Sie sind ein passendes Analogon für ähnliche Erscheinungen am Gesichtskreise der
Kunstgeschichte, auf Zustände des Ueberganges einer Kunstwelt ins Gestaltlose und gleichzeitig auf
die Phase sich vorbereitender Neugestaltung einer solchen hinweisend«.

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