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Die Kunde — 4.1936

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Nr. 8/9
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Plath, Helmut: Der Hahn im niedersächsischen Erntebrauch
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https://doi.org/10.11588/diglit.61686#0207

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Paare tanzen um den Dorfbrunnen herum, oben auf dem Brunnen
steht ein Korb mit dem Hahn, während sich auf dem Ausflußrohr ein
Kübel mit Wasser befindet. Tanzt ein Paar nun an dem Kübel vorbei,
so hebt das Mädchen den Burschen hoch, der versucht von dem Wasser
soviel wie möglich zu verschütten, dabei aber so wenig wie möglich naß
zu werden.
All diesen Bräuchen gegenüber bildet der „Papphahn" auf dem
Erntekranz, wie wir ihn eingangs erwähnten, schon eine Abschwächung.
Die Erntekrone mit dem Hahn als Einheit war früher in der Heide
aber auch ebenso lebendig, wie es noch heute in den Weserdörfern und
im Lipperland der Fall ist. Einige Beispiele teilt uns wieder E. Klick
mit: In Hanstedt trug die große Erntekrone einen Papphahn, der mit
bunten Papierstreifen, welche die Federn darstellen sollten, geschmückt
war. Die Krone wurde von den Knechten im feierlichen Umzuge auf
einer Forke durch das Dorf in den Festsaal getragen und dort auf-
gehängt. Die Krone blieb bis auf unsere Zeit erhalten, der Hahn fiel
fort. In Ohldendorf wurde der Hahn erst nach beendigtem Umzug auf
den Erntekranz gesteckt. Eine Sondersorm hatte sich in Brakel erhalten,
wo der Hahn auf dem Erntekränze einige Aehren im Schnabel trug.
Im Gegensatz zu diesen flächenartigen Pappstücken kannte man in
den Dörfern um Dahlenburg herum einen mit Rauschgold bekleideten
Hahn aus Watte in Körperform.
Denken wir nun einmal daran, was oben über den „Stoppelhahn"
aus Dageförde berichtet wurde, dann sehen wir deutlich die Wandlung,
die der Brauch im Lauf der Zeit durchgemacht hat. Aus dem lebendi-
gen Tier und der letzten Garbe, die ungemäht auf dem Felde stehen
blieb, wurde das Abbild: Der Papphahn auf der Erntekrone. (Daß es
sich hier wirklich um eine Wandlung des gleichen Brauches handelt,
geht daraus hervor, daß, wie E. Rück durch Rundfrage feststellte, in den
Gegenden, wo sich das alte Hahnenop'fer bis in neuere Zeit erhalten
hatte, das Erntefest in der Regel ohne Erntekranz und Papphahn ge-
feiert wurde, so ist früher um Bergen, Eschede und Dorfmark herum
der Erntekranz nie lebendig gewesen.) Diese Wandlung treffen wir
nicht nur im Brauchtum sondern auch in der Volkskunst an, wo eben-
falls oft die lebensvolle Gestalt zum bald nicht mehr verstandenen
Ornament erstarrt. Was anderseits für die Volkskunst gilt, daß uns
nämlich das Ornament die einstmals lebensvolle Gestalt, aus der es
hervorgegangen ist, ahnen läßt, ohne uns jedoch das schöpferische Ge-
heimnis, das dieses Leben zeugte, jemals völlig preiszugeben, das gilt
auch für zahlreiche Bräuche, die heute noch als „Ornament" im deut-
schen Volke lebendig sind. So läßt sich über die hier beschriebene
Brauch-Gruppe wohl auch nur mit Sicherheit sagen, daß der Hahn
unfern Vorfahren ein Symbol der Fruchtbarkeit war — die Eierkette,
die der Erntehahn in den Weserdörfern trägt, weist auch darauf hin —
das nach vollendete Ernte aus Dank geopfert wurde.
Hannover. vr. Plath.

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