DER KUNSTGEWERBLICHE GESCHMACK IN ENGLAND.
durch zahlreiche Aufnahmen bekannt geworden waren,
studirte man die einfach geometrischen Muster mit
den streng stilisirten Blättern und Blumen; die Theo-
retiker lehrten, dass es verwerflich sei, als Flächen-
schmuck Naturgebilde in vollem Relief nachzuahmen,
dass das Pläcbenornament vor allem Flachornament
sein solle, und dass
die Kunst überdies die
Zufälligkeiten der Na-
tur zu vermeiden und
das Typische hervor-
zusuchen habe. Die
englischen Architekten
und Zeichner, nament-
lich in den sechziger
und siebziger Jahren
nahmen diese Vor-
schriften möglichst
wörtlich. Man ließ als
Flächenornament nur
geometrische Tei-
lungen gelten und darin
flach projizirte Formen
von Blatt und Blüte,
die mit Zirkel und
Lineal zurechtgestutzt
waren und sich mög-
lichst dem vermeint-
lichen Urtypus der
betreffenden Pflanze
näherten. Unter den
Händen dieser Neu-
gotiker ward das be-
wegte Naturblatt her-
barienartig und sche-
matisch gepresst, die
Blume ward am lieb-
sten zur Rosette ver-
gewaltigt, die Knos-
pen, die Ranken und
die übrigen reizvollen
Bildungen des Natur-
gewächses wurden
Abb. 5.
kaum berücksichtigt.
Diesen gotisirenden Flachmusterstil können wir
bequem in den Werken von F. Edward Huhne stu-
diren (besonders Suggestions in floral design, Lon-
don o. J.; Plauts, their natural Growth and orna-
mental Treatment, London 1874; Sketches from na-
ture of'Plant Form, 1868). Auch aus diesem Formen-
kreise_geben wir in Abb. 4 ein Beispiel.
Diese trockene, schulmeisterliche Auffassung des
Ornaments ward natürlich besonders in den Schulen
beliebt. Vom South Kensington Museum aus be-
herrschte sie bald den so bedenklich centralisirten
Kunstunterricht des ganzen Landes; lehrreich dafür
sind z. B. die Schulzeichnungen, welche Mr. Wallis
1880 im Art Journal
veröffentlicht hat; noch
um die Mitte der acht-
ziger Jahre trugen die
jährlichen Schüleraus-
stellungen durchaus
diesen Charakter. Aller-
dings hatte die Praxis
sich zum Teil gegen
diesen Konventionalis-
mus gewehrt; die
Weber und Drucker
hielten zum großen
Ärger der Reformer
vielfach an den beweg-
lichen und anmutigen
Mustern des 18. Jahr-
hunderts fest.
Auch den Künst-
lern und dem Publi-
kum konnte diese Ver-
flachung der Natur auf
die Dauer nicht ge-
nügen. Der Engländer
hat zu viel Fühlung
mit der lebendigen
Natur; das Land- und
Villenleben, die wohl-
gepflegten Gärten, die
üppigere Vegetation,
die entwickelte Blu-
menzucht, die Gewohn-
heit, mit diesen Blumen
die Zimmer und sich
selber zu schmücken,
— das alles führte den
englischen Geschmack
bald auf die Reize der
lebendigen, bewegten Pflanzenwelt hin, deren deko-
rative Verwendung zu derselben Zeit durch die
japanischen Vorbilder bekannt wurde. Man be-
trachtet es seitdem als selbstverständlich, dass der
Zeichner die heimische Flora zu jeder Tageszeit
und in jeder Beleuchtung immer wieder zeichne und
male, bis er ihre Formen sich völlig zu eigen gemacht
Wandmuster im Gesolimack der Renaissance, von L. F. Day.
(Eigentum von Jeffrey & Co., London.)
durch zahlreiche Aufnahmen bekannt geworden waren,
studirte man die einfach geometrischen Muster mit
den streng stilisirten Blättern und Blumen; die Theo-
retiker lehrten, dass es verwerflich sei, als Flächen-
schmuck Naturgebilde in vollem Relief nachzuahmen,
dass das Pläcbenornament vor allem Flachornament
sein solle, und dass
die Kunst überdies die
Zufälligkeiten der Na-
tur zu vermeiden und
das Typische hervor-
zusuchen habe. Die
englischen Architekten
und Zeichner, nament-
lich in den sechziger
und siebziger Jahren
nahmen diese Vor-
schriften möglichst
wörtlich. Man ließ als
Flächenornament nur
geometrische Tei-
lungen gelten und darin
flach projizirte Formen
von Blatt und Blüte,
die mit Zirkel und
Lineal zurechtgestutzt
waren und sich mög-
lichst dem vermeint-
lichen Urtypus der
betreffenden Pflanze
näherten. Unter den
Händen dieser Neu-
gotiker ward das be-
wegte Naturblatt her-
barienartig und sche-
matisch gepresst, die
Blume ward am lieb-
sten zur Rosette ver-
gewaltigt, die Knos-
pen, die Ranken und
die übrigen reizvollen
Bildungen des Natur-
gewächses wurden
Abb. 5.
kaum berücksichtigt.
Diesen gotisirenden Flachmusterstil können wir
bequem in den Werken von F. Edward Huhne stu-
diren (besonders Suggestions in floral design, Lon-
don o. J.; Plauts, their natural Growth and orna-
mental Treatment, London 1874; Sketches from na-
ture of'Plant Form, 1868). Auch aus diesem Formen-
kreise_geben wir in Abb. 4 ein Beispiel.
Diese trockene, schulmeisterliche Auffassung des
Ornaments ward natürlich besonders in den Schulen
beliebt. Vom South Kensington Museum aus be-
herrschte sie bald den so bedenklich centralisirten
Kunstunterricht des ganzen Landes; lehrreich dafür
sind z. B. die Schulzeichnungen, welche Mr. Wallis
1880 im Art Journal
veröffentlicht hat; noch
um die Mitte der acht-
ziger Jahre trugen die
jährlichen Schüleraus-
stellungen durchaus
diesen Charakter. Aller-
dings hatte die Praxis
sich zum Teil gegen
diesen Konventionalis-
mus gewehrt; die
Weber und Drucker
hielten zum großen
Ärger der Reformer
vielfach an den beweg-
lichen und anmutigen
Mustern des 18. Jahr-
hunderts fest.
Auch den Künst-
lern und dem Publi-
kum konnte diese Ver-
flachung der Natur auf
die Dauer nicht ge-
nügen. Der Engländer
hat zu viel Fühlung
mit der lebendigen
Natur; das Land- und
Villenleben, die wohl-
gepflegten Gärten, die
üppigere Vegetation,
die entwickelte Blu-
menzucht, die Gewohn-
heit, mit diesen Blumen
die Zimmer und sich
selber zu schmücken,
— das alles führte den
englischen Geschmack
bald auf die Reize der
lebendigen, bewegten Pflanzenwelt hin, deren deko-
rative Verwendung zu derselben Zeit durch die
japanischen Vorbilder bekannt wurde. Man be-
trachtet es seitdem als selbstverständlich, dass der
Zeichner die heimische Flora zu jeder Tageszeit
und in jeder Beleuchtung immer wieder zeichne und
male, bis er ihre Formen sich völlig zu eigen gemacht
Wandmuster im Gesolimack der Renaissance, von L. F. Day.
(Eigentum von Jeffrey & Co., London.)