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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 4.1893

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Jessen, P.: Der kunstgewerbliche Geschmack in England, [3,1]: die Möbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.3942#0075

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III. Die Möbel.

Von englischen Möbeln ist jetzt bei uns oft
die Rede. Mit Recht hat man im Gegensatz zu der
Formenfülle, die in unserer Tischlerei überhand
genommen hat, auf die gesunde Einfachheit des eng-
lischen Mobiliars verwiesen; unsere Fabrikation hat
sich beeilt, in ihr Stilrepertoire auch den englischen
Stil aufzunehmen, und man hört schon hier und da
die meist unverstandenen Schlagworte Chippendale
oder Queen Anne. Es ist daher an der Zeit, dem
Wesen und den Wandlungen des modernen englischen
Möbels näher zu treten.

Die gemeinsamen Tendenzen des englischen Ge-
schmacks, die wir im.letzten Juniheft dieser Zeit-
schrift darzustellen suchten, prägen sich im Mobiliar
sehr lebendig aus. Man hat, wie bei uns, nach und
nach die neueren Stilrichtungen von der Gotik bis
zum Klassicismus wieder aufgenommen; aber man
hat sich dabei nicht an den Geschmack fremder
Völker angelehnt, an die italienische Renaissance
oder an das französische Barock und Rokoko, son-
dern an die nationalen, englischen Formen. Es wurde
die heimische Eigenart benutzt, welche sich in den
verschiedenen älteren Stilarten gleich geblieben ist,

und so kommt es, dass auch das heutige englische
Mobiliar uns konsequent und gleichartig erscheint
trotz des wechselnden Modegeschmacks.

Zuerst hat man bekanntlich auf die gotischen
Möbelformen zurückgegriffen. Die heimischen Über-
reste der mittelalterlichen Baukunst waren in Eng-
land schon am Anfange des 18- Jahrhunderts wieder
beachtet und nachgezeichnet worden, fast ein Jahr-
hundert früher als bei uns. Um 1750 wandten auch
die englischen Tischler einzelne gotische Bauformen
an ihren Möbeln an. Die neugotischen Architekten
in den dreißiger und vierziger Jahren unseres Jahr-
hunderts führten dann in ihren Kirchen und Pa-
lästen auch die Dekoration und das Mobiliar in go-
tischen Formen aus. Dabei dienten allerdings wesent-
lich die alten Kirchenmöbel, die Chorstühle und
Bischofsthrone mit ihrer wuchtigen Konstruktion
und ihren breiten Schnitzereien als Vorbilder; in
den einflussreichen Möbelzeichnungen von A. W. Pugin,
die 1835 erschienen sind, wuchern die Krabben,
Fialen, Spitzbogen und Distelblumen noch üppig
über das schwere Balkenwerk hin.

Erst seit der bewussten Geschmacksreform,
 
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