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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 4.1893

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Jessen, P.: Der kunstgewerbliche Geschmack in England, [2]: das Flachmuster
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https://doi.org/10.11588/diglit.3942#0018

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DER KÜNSTGEWERBLICHE GESCHMACK IN ENGLAND.

versuchen; vielmehr, schattire man nur so viel als
nötig ist, um die Naturform kenntlich zu machen;
auch die Farbe sei mehr andeutend als nachahmend.
Dagegen wäre es falscher Konventionalismus, wenn
man z. B. alle Blätter grün färben wolle, da es docb in
der Natur auch Blätter von rötlichem oder silber-
grauem Tone gebe. Day vergleicht das Naturorna-
ment den Gartengewächsen, die man nicht ins Kraut
schießen lassen könne, wie die Feldblumen, die aber
auch nicht beschnitten, verstümmelt und ihrer na-
türlichen Eigenart beraubt werden dürften. Wird
aber die Natur verwendet, so muss es einheitlich ge-
schehen: innerhalb eines Musters müssen dann die
Blüten und die Blätter gleichartig aufgefasst sein,
nicht etwa die Blume naturalistisch und das Blatt-
werk stilisirt, wie man es bei oberflächlichen Zeich-
nern wohl findet.

Es ist bezeichnend für den heutigen Geschmack,
dass auch die Gattungen der im Ornament beliebten
Blumen sich gegen die neugotische Zeit verändert
haben. Damals schätzte man vor allem die regel-
mäßigen, einfachen, ja bescheidenen Blüten: neben
der Heckenrose und der Lilie die Primel, das Gänse-
blümchen und dergleichen schlichte Formen, die
sich bequem zu Rosetten umbilden ließen. Heute
herrschen dagegen die großen, breiten dekorativen
Blumen vor, Chrysanthemum, Päonie, Sonnenblume,
Iris, Orchideen; die Firma Morris & Co. hat das
Geißblatt (honey suckle) sogar zu ihrer Telegramm-
adresse gewählt; es sind viele Lieblingsblumen der
Japaner darunter. Außer Blüte und Blättern wissen
die Zeichner aber auch die Knospen, Ranken, Früchte,
Beeren, ja die Wurzeln zu verwerten; gern ist die
Pflanze von passenden Tieren, besonders Vögeln und
Insekten, belebt. Von den Vögeln ist besonders
der Pfau durch Walter Crane beliebt geworden,
(S. Abb. 1), deren Benutzung zu dekorativen Zwecken
ausschließlich der Firma Jeffrey & Co. London zusteht.)

Mit diesen Elementen weiß man auch die alten
Stoffmuster höchst anziehend und mannigfach zu
durchsetzen, sowohl die orientalischen wie namentlich

die breiten Bandmuster des 15. Jahrhunderts,, so dass
auf der Grundlage oft völlig Neues geschaffen wird.

Übrigens ziehen die englischen Künstler neben
den vorherrschenden Naturmustern auch aus ihren
vielen Sammlungen älterer Vorbilder vielfach di-
rekten Nutzen. Für die reich entwickelte Fliesen-
industrie z. B., welche bis vor kurzem vorwiegend
mit den gotisirenden Pflanzenmustern arbeitete (man
kennt ja auch bei uns die Fliesen von Minton, Maw
u. Co. u. a.), hat De Morgan die alten persischen
Originale neu belebt; seine breit gemalten Arbeiten
übertreffen namentlich an Farbenpracht alle eng-
lischen Vorgänger; auch den Lüster der maurischen
und italienischen Majoliken hat er mit gutem Er-
folg nachgeahmt (s. Abb. 8). Für gemalte Flach-
muster hat namentlich Day die gemalten Orna-
mente der griechischen Vasen empfohlen, deren
Wesen er als echte Pinselarbeit (brush-work) mit
Geschick erläutert. Das Flachornament der eng-
lischen Intarsia hält sich dagegen vorwiegend an
die italienische Renaissance oder an die klassiziren-
den Muster des 18. Jahrhunderts, entsprechend dem
Stil des Möbels, das die eingelegte Arbeit schmücken
soll. Wie glücklich die Naturmotive auch für eigen-
artige Aufgaben verwertet werden, mag ein Schab-
lonenmuster von H. Sumner (Abb. 9 auf S. 16) zeigen.

Endlich wäre es lehrreich, auch die Farbenwahl
der heutigen englischen Muster an einer größeren
Reihe von Beispielen zu veranschaulichen. Man ist
dort in entschiedenen Gegensatz getreten gegen die
stumpfen, gebrochenen, vermeintlich harmonisirten
Töne,* von denen sich bei uns erst einige wenige
Künstler frei machen. Man sucht reine, satte Farben,
kräftige Töne; hell und freundlich sollen namentlich
die Tapeten der Zimmer sein, wie wir früher
ausgeführt haben. Auch hierin könnte unseres Er-
achtens das deutsche Kunstgewerbe manches von den
Engländern lernen, ohne deshalb in blinde Nach-
ahmung verfallen zu müssen. In diesem Sinne
möchten wir alle vorstehenden Betrachtungen auf-
gefasst wissen. Pi JESSEN.



Kunstgewerbeblatt. N. F. IV.
 
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