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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 4.1893

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Hofmann, Albert: Das nordböhmische Gewerbemuseum in Reichenberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.3942#0040

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DAS NORDBÖHMISCHE GEWERBEMUSEUM IN REICHENBERG.

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durch, aufgemalte Linien in der Wirkung der Linien-
holzbrandtechnik weiter gegliedert sind. Unter einer
Anzahl süddeutscher und holländischer Schränke mit
schlichter, aber wirkungsvoller Profilirung befinden
sich einige bemerkenswerte Stücke, die sich so-
wohl durch Strenge des Aufbaues wie durch har-
monische Gliederung bei maßvoller Verwendung des
Ornamentes als unmittelbar zu benutzende Vorbilder
erwiesen haben. Zu der Gruppe der Kastenmöbel
tritt noch eine ganze Reihe zum Teil deutscher,
zum Teil orientalischer Kasetten mit Schnitz- und
Einlagarbeit. Waren äußerliche Momente der Er-
werbung kostbarer ganzer Möbelstücke hinderlich,
so kulminirt die Holzabteilung in vorzüglichen
einzelnen Möbelteilen, besonders Füllungen: flott ge-
schnitzte, edle Truhenbretter der italienischen
Renaissance des 16. Jahrhunderts, fein geschnitzte
Holzverzierungen der deutschen Renaissance, eine
Prächtige zweiteilige Thüre mit reicher Schnitzerei
Henri deux, insbesondere aber eine Reihe der
schönsten, zum Teil durchbrochenen, geschnitzten
gotischen Maßwerkfüllungen, zum größten Teil
französischer Provenienz, und endlich eine Anzahl in
vorzüglichster Weise geschnitzter Reliefornamente
im Stile Louis XIV., die mit zu den feinsten und
graziösesten aus dieser Zeit gehören. Im Besitze
des Museums ist auch eine Sauermann'sche Nach-
bildung der bekannten Sakristeithüre des Schlosses
Gottorp bei Schleswig.

Durch einen glücklichen Ankauf auf der Auktion
Vincent in Konstanz im vergangenen Jahre gelang
es, für die Abteilung Glasmalerei einen kleinen, aber
um so kostbareren Grundstock zu legen.

Die übrigen Teile der Sammlungen sind in den
Gruppen Mosaik, Lackarbeiten, Leder- und Buch-
binderarbeiten und Geflechten durch für die Industrie
wertvolle Vorbilder versehen, die indes für eine be-
sondere Erwähnung keinen Anlass bieten.

Dagegen ist die Abteilung für vervielfältigende,
graphische Künste weit vorgeschritten. Die innere
Buchausstattung wird durch eine Sammlung von
über 6000 Initialen, Druckerzeichen, Vignetten, Bunt-
papiere etc. durch alle Zeiten von der Gotik ab vor-
geführt; an sie reiht sich eine größere Kollektion
Kupferstiche, in der Mehrzahl böhmischer Provenienz.
Eine Sammlung Handzeichnungen von Josef Bitter von
Führich und anderennordböhmischenMeistern, vervoll-
ständigt durch Stiche und Photographieen nach den
Werken böhmischer Künstler, zählt gegen 500 Blatt.

Die Aufstellung dieser Schätze leidet unter dem
Druck der durchaus ungeeigneten Räume; soweit

es aber diese und die Vollständigkeit der Gegen-
stände zuließen, wurde das malerische Prinzip in
der Aufstellung dem sogenannten „wissenschaftlichen"
vorgezogen, ein Vorgang, der bei den meisten anderen
Arbeitsmuseen in feinfühliger Wahrnehmung der Nei-
gungen der Interessentenkreise beobachtet wird und
dem namentlich in Reichenberg bei einem in künst-
lerischer Geschmacksbildung wenig vorgeschrittenen
Publikum nach jahrelanger Beobachtung vor jeder
anderen Aufstellung der Vorzug gegeben wurde. Ist
man doch selbst bei den Anstalten, welche in der glück-
lichen Lage sind, für eine künstlerisch lebhaft em-
pfindende Bevölkerung zu wirken, dazu geschritten,
dem malerischen Prinzip in der Ausstattung oder
der Beschaffung einzelner Räume stattzugeben, so
dem Musee de Oluny in Paris (fast durchgehends
malerische Aufstellung in prächtigen alten Räumen),
dem Kunstgewerbemuseum zu Berlin (ganze Innen-
räume und japanische Ausstellung des vergangenen
Frühjahres), dem österreichischen und dem Handels-
museum in Wien (arabisches Zimmer und orienta-
lische Innenräume), und dem bayerischen Gewerbe-
museum in Nürnberg (orientalischer Saal). Das beste
Beispiel für die Gültigkeit des malerisch-ornamentalen
Prinzips aber geben die mit Kunstgewerbeschulen in
Verbindung stehenden, frisch blühenden und reiche
Früchte tragenden Museen wie die in Dresden und
Karlsruhe. An solchen Anstalten wird mit der
Wissenschaft des Kunstgewerbes herzlich wenig aus-
gerichtet. Außerdem sei noch an die von lebhaftem
Anklang begleitet gewesenen Altertümerausstellungen
zu München, Kassel, Karlsruhe u. s. w. hingewiesen.
Ich kann mir endlich nicht versagen, auf den fein-
sinnigen Ausspruch der Kaiserin Friedrich hinzu-
deuten, den ich früher an anderer Stelle dieser Zeit-
schrift erwähnte.

Mit der Wissenschaftlichkeit an erster Stelle
oder gar allein richtet man bei den Arbeitsmuseen
blutwenig aus! Und wie könnte es denn auch
anders sein. Die Kunstwerke sind durch die Ver-
hältnisse unseres heutigen Kunstmarktes aus allem
natürlichen Zusammenhang herausgerissen und aus
allen Gegenden und Zeiten zusammengetragen. Wie
selten glückt es, ein geschlossenes Ganzes zu erwerben,
und wie oft kommt es vor, dass die Form eines Gegen-
stands ohne seinen früheren Zusammenhang unver-
ständlich ist. Hier ist das malerische Prinzip der
Aufstellung berufen, Ersatz zu schaffen, wenn auch
leider oft nicht vollen.

Und noch ein anderes Moment, vielleicht das
wichtigste von allen, darf bei der malerischen Auf-
 
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