DIE PFLANZE IN DER DEKORATIVEN KUNST.
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bei ihnen heimischen Gewächse zu stände bringen
können. Nur dadurch haben sie, bei aller Erfüllung
stilistischer Forderungen, jene lebensvolle Schönheit
erreicht, welche uns noch an dem geringsten antiken
Fragment entzückt.
Die nachfolgenden Kunstepochen, die altchristliche
und der romanische Stil blieben in der Dekoration,
der Hauptsache nach, abhängig von der Antike.
Einesteils wurden die Formen verknöchert, andern-
teils vergröbert wiedergegeben, auch mischte sich
etwas von Arabischem hinein.
In der romanischen Kunst diesseits der Alpen regte
sich aber allerdings
allmählich der Trieb
zu selbständigen Ge-
staltungen. Derselbe
kam wieder in keiner
andern Weise zum
Ausdruck, als da-
durch, dass die anti-
ken Formen den For-
men der einheimi-
schenPflanzenweltan-
genähert und schüch-
tern einzelne Stücke
der heimischen Flora
zugezogen wurden.
Mit der Umwand-
lung des romanischen
Stiles in die Gotik
vollzieht sich der
Bruch der nordisch-
nationalen Sinnes-
weise mit der antiken
Tradition und der süd-
lichen Anschauung
überhaupt.
Die Gotik warf
auch nicht das Er-
erbte von sich, aber sie gestaltete es mit rücksichts-
loser Kühnheit und großem Geschick nach ihrem Ge-
schmack und Wollen um. Wie sie mit dem Akanthus
verfuhr, habe ich schon erwähnt. Aber der stolze Geist
der Unabhängigkeit, die Freude am selbständigen
Schaffen, die Gelegenheit zu einem reichen Wechsel
der Formen, welche im Charakter des Stiles lag,
führte die Künstler der Gotik dazu, sich ohne Ver-
mittlung früherer Stilweisen direkt an die Natur zu
wenden und die einheimische Vegetation zu Ehren
zu bringen. Es kam durch sie zu Tag, welch reiche
Schätze für die dekorative Kunst auch die nordische
Muster eines venetianischen Stoffes. (Aus Lievre.)
Flora enthält. Ihrer Begeisterung und ihrem starken
tektonischen Gefühl gelang es, eine Menge davon
zu heben, das heißt reife plastische Stilisirungen
einer großen Zahl von solchen Kräutern und Zweiten
hervorzubringen, welchen bis dahin nebenbei von
den Figurenmalern und mehr noch von den minia-
turmalenden Mönchen und Nonnen eine Beachtung
geschenkt worden war.
Da finden wir: Wegerich, Braunwurz, Kresse,
Klee, Sauerampfer, Farrenkraut, Wiesengeranium,
Petersilie, Schwalbenkraut, Ranunkel, Kohl, Schwert-
lilie, Löwenmaul, Aronstab, Erdbeere u. s. w. Dieses
von der Gotik er-
weckte Interesse an
der Pflanzenwelt
wurde durch die Re-
naissance, welche die
Bahn der wissen-
schaftlichen Beobach-
tung der Natur be-
schritt, mächtig ge-
hoben. Ein über-
reicher Flor blüht uns
aus der italienischen
Frührenaissance ent-
gegen, zu dessen Ent-
stehung die antike
und die gotische Tra-
dition samt dem ara-
bischen Zuschuss bei
weitem nicht ausge-
reicht hätten.
Nur dadurch, dass
man sich bei der Na-
tur direkt Rats er-
holte, waren jene
herrlichen Schöpfun-
gen möglich, wie die
weltberühmten Pflan-
zendekorationen der Farnesina, der Loggien des
Raphael und der Villa Madama, sodann die allerorts
in Italien anzutreffenden Intarsien der Chorstühle,
die zahllosen reizvollen gemeißelten und geschnitzten
Reliefs, die wunderbaren Metallkunstwerke, die
Stickereien und Webemuster.
Auch die Meister der deutschen Renaissame haben
neue Entdeckungsreisen in der sie umgebenden Natur
angestellt. Außer Dürer ist hier vor allem Jost
Amman zu nennen, sodann Springinklee, der also seinen
Namen nicht umsonst hat.
Der Barockstil konnte sich zwar hinsichtlich
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bei ihnen heimischen Gewächse zu stände bringen
können. Nur dadurch haben sie, bei aller Erfüllung
stilistischer Forderungen, jene lebensvolle Schönheit
erreicht, welche uns noch an dem geringsten antiken
Fragment entzückt.
Die nachfolgenden Kunstepochen, die altchristliche
und der romanische Stil blieben in der Dekoration,
der Hauptsache nach, abhängig von der Antike.
Einesteils wurden die Formen verknöchert, andern-
teils vergröbert wiedergegeben, auch mischte sich
etwas von Arabischem hinein.
In der romanischen Kunst diesseits der Alpen regte
sich aber allerdings
allmählich der Trieb
zu selbständigen Ge-
staltungen. Derselbe
kam wieder in keiner
andern Weise zum
Ausdruck, als da-
durch, dass die anti-
ken Formen den For-
men der einheimi-
schenPflanzenweltan-
genähert und schüch-
tern einzelne Stücke
der heimischen Flora
zugezogen wurden.
Mit der Umwand-
lung des romanischen
Stiles in die Gotik
vollzieht sich der
Bruch der nordisch-
nationalen Sinnes-
weise mit der antiken
Tradition und der süd-
lichen Anschauung
überhaupt.
Die Gotik warf
auch nicht das Er-
erbte von sich, aber sie gestaltete es mit rücksichts-
loser Kühnheit und großem Geschick nach ihrem Ge-
schmack und Wollen um. Wie sie mit dem Akanthus
verfuhr, habe ich schon erwähnt. Aber der stolze Geist
der Unabhängigkeit, die Freude am selbständigen
Schaffen, die Gelegenheit zu einem reichen Wechsel
der Formen, welche im Charakter des Stiles lag,
führte die Künstler der Gotik dazu, sich ohne Ver-
mittlung früherer Stilweisen direkt an die Natur zu
wenden und die einheimische Vegetation zu Ehren
zu bringen. Es kam durch sie zu Tag, welch reiche
Schätze für die dekorative Kunst auch die nordische
Muster eines venetianischen Stoffes. (Aus Lievre.)
Flora enthält. Ihrer Begeisterung und ihrem starken
tektonischen Gefühl gelang es, eine Menge davon
zu heben, das heißt reife plastische Stilisirungen
einer großen Zahl von solchen Kräutern und Zweiten
hervorzubringen, welchen bis dahin nebenbei von
den Figurenmalern und mehr noch von den minia-
turmalenden Mönchen und Nonnen eine Beachtung
geschenkt worden war.
Da finden wir: Wegerich, Braunwurz, Kresse,
Klee, Sauerampfer, Farrenkraut, Wiesengeranium,
Petersilie, Schwalbenkraut, Ranunkel, Kohl, Schwert-
lilie, Löwenmaul, Aronstab, Erdbeere u. s. w. Dieses
von der Gotik er-
weckte Interesse an
der Pflanzenwelt
wurde durch die Re-
naissance, welche die
Bahn der wissen-
schaftlichen Beobach-
tung der Natur be-
schritt, mächtig ge-
hoben. Ein über-
reicher Flor blüht uns
aus der italienischen
Frührenaissance ent-
gegen, zu dessen Ent-
stehung die antike
und die gotische Tra-
dition samt dem ara-
bischen Zuschuss bei
weitem nicht ausge-
reicht hätten.
Nur dadurch, dass
man sich bei der Na-
tur direkt Rats er-
holte, waren jene
herrlichen Schöpfun-
gen möglich, wie die
weltberühmten Pflan-
zendekorationen der Farnesina, der Loggien des
Raphael und der Villa Madama, sodann die allerorts
in Italien anzutreffenden Intarsien der Chorstühle,
die zahllosen reizvollen gemeißelten und geschnitzten
Reliefs, die wunderbaren Metallkunstwerke, die
Stickereien und Webemuster.
Auch die Meister der deutschen Renaissame haben
neue Entdeckungsreisen in der sie umgebenden Natur
angestellt. Außer Dürer ist hier vor allem Jost
Amman zu nennen, sodann Springinklee, der also seinen
Namen nicht umsonst hat.
Der Barockstil konnte sich zwar hinsichtlich