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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Lessing, Julius: Zwei Ausstellungen alter Kunstwerke in Belgien 1905
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0013

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ZWEI AUSSTELLUNGEN ALTER KUNSTWERKE IN BELGIEN 1905

Um zwei solcher Ausstellungen speisen zu können,
muß ein Land an alten Kunstwerken so reich sein,
wie es Belgien eben ist. In Belgien gehen die
Traditionen der Kirchen bis in die Zeit Karls des
Großen zurück, im ganzen Mittelalter steht Burgund
in hoher Blüte, unter Karl dem Kühnen werden Ende
des 15. Jahrhunderts Brügge und Gent die glänzendsten
Pflanzstätten der hohen und der dekorativen Kunst.
Von der allflandrischen Malerschule der Eycks hat
im Jahre 1903 die Ausstellung in Brügge ein gerade-
zu überwältigendes Bild geboten. Dieses zu wieder-
holen oder auch nur zu ergänzen, haben jetzt Brüssel
oder Lüttich gar nicht erst versucht. Aber neben der
Malerei hatte das mittelalterliche Flandern eine ganze
Reihe kunstgewerblicher Betriebe von höchster Pracht
aufzuweisen, mit den Arbeiten in Messingguß von
Dinand wurde halb Europa versorgt, vor allem aber
mit den gewirkten Wandteppichen, dann auch mit
den Schnitzaltären und einzelnen Figuren in Holz
und Alabaster. Diese Arbeiten gehen bis tief in das
17. Jahrhundert hinein in alle Welt. Auch noch im
17.—18. Jahrhundert haben wir eine schöne gewerb-
liche Kunst, die sich aber mehr auf die Bedürfnisse
des Landes beschränkt. Die flandrischen Möbel der
Rubenszeit in allen Teilen des Landes, die Lütticher
Möbel des 18. Jahrhunderts gehören zum Besten auf
dem Gebiete der gesunden bürgerlichen Kunstübung.
Belgien und Holland, damals noch politisch ver-
bunden, greifen vielfach ineinander, aber das katho-
lische, halb welsche Flandern hat doch seine besondere
Note, vor allem hat es in seinen von keiner Refor-
mation berührten Kirchen eine Menge kostbaren Gutes
bewahrt. Dagegen ist von Kronschätzen nichts er-
halten. Kaiser Maximilian und Kaiser Karl V. haben,
als die Erben Karls des Kühnen, ihre Schätze nach
Wien und Madrid weggeführt, Kriegesstürme haben
in den Niederlanden arg gehaust und gerade die
öffentlichen Gebäude geplündert. Will man jetzt
eine historische Ausstellung altniederländischer Kunst
versuchen, so muß man sich, wie 1903 in Brügge,
nachdrücklich an das Ausland wenden.

Die diesjährigen Veranstaltungen von Brüssel und
Lüttich können nun gar nicht in einer Reihe mit
Brügge genannt werden, vor allem Lüttich nicht, da-
gegen ist Brüssel wenigstens auf dem Gebiete der
Wandteppiche recht bemerkenswert.

Ich will an dieser Stelle keine kritische Darstellung
der beiden Ausstellungen geben, sondern lediglich
über den Umfang und ungefähren Wert derselben
orientieren.

Brüssel. Den Anlaß für die Ausstellung bietet
das Jubelfest, welches man dem 75 jährigen Bestehen
des Staates Belgien schuldig war. Auch das 50 jährige
Bestehen hatte eine große Ausstellung gebracht und
an einer sehr entlegenen Stelle einen Palast hinter-
lassen, in dem sich jetzt das Museum der dekorativen
Kunst recht unbequem befindet, noch dazu mit dem
unbequemen Namen cinquantenaire behaftet. Die
Feier der 75 hat nun gar zwei Ausstellungen gebracht,
die beide mit großer Sorgfalt hergerichtet sind. Die
erste umfaßt die l'art beige, die moderne Kunst der

betreffenden 75 Jahre, nach dem Vorbilde der l'art
centenaire der letzten Pariser Weltausstellung. Man
braucht nur die Namen Qallait und Leys zu nennen,
um zu wissen, einen wie starken Einfluß Belgien auf
die Kunstentwickelung des gesamten Europas gehabt
hat. Für die jüngste Periode gibt der kürzlich ver-
storbene Bildhauer Meunier ein starkes Rückgrat;
einen gewaltigen Eindruck macht das kolossale, von
ihm geplante Monument »Der Triumph der Arbeit«,
ein Halbrund mit vier Reliefs in Marmor und fünf
bronzenen Figuren an den Pilastern. Für diese sehr
umfangreiche und wohlgeordnete Ausstellung hat man
ein eigenes großes Gebäude von monumentalem
Gepräge errichtet, wieder in dem Park cinquantenaire
und noch dazu in einer besonders entlegenen Ecke,
welche selbst die Droschkenkutscher — und ohne
diese ist es überhaupt nicht zu erreichen — nicht
zu finden wissen.

Die zweite Festgabe ist die exposition d'art ancien
bruxellois. Diese befindet sich in dem herrlichen
Park, der sich an das Schloß anlehnt und den Mittel-
punkt der Oberstadt bildet. Dort gibt es ein Waux-
Hall benanntes Gebäude mit einigen hübsch angelegten
Sälen, in welchem der cercle artistique et litteraire
seinen Sitz hat. Man hat das Gebäude durch An-
bauten erweitert, und ebenso den cercle selbst, indem
man unter königlichem Patronat ein stattliches Ehren-
komitee aus den Spitzen der belgischen Behörden und
aus den Museumsdirektoren aller Welt zusammen-
gesetzt hat. In diesem Komitee haben vornehmlich
die französischen Mitglieder wacker geholfen. Das
Musee des Gobelins, das Louvre, das Musee de Cluny,
auch das Gardemeuble in Paris sind mit ausgezeichneten
Stücken vertreten, auch das Victoria and Albert- (South-
Kensington) Museum von London. Die heimischen
Museen von Brüssel hat man soweit herangezogen,
daß das cinquantenaire zurzeit ganz geplündert er-
scheint, die Gemäldegalerie hat man wenigstens in
Ruhe gelassen. Ein übersichtlicher Katalog mit
historischen Einleitungen zu den verschiedenen Gruppen
von Joseph Destree ist erschienen.

Der Name art bruxellois ist nicht allzu genau zu
nehmen, die Herkunft der Stücke aus Brüssel ist nicht
immer erwiesen, in manchen Fällen nicht einmal be-
hauptet, aber im wesentlichen trifft der Name zu.

Der eigentliche Schwerpunkt der Ausstellung liegt
in den Wandteppichen, den Tapisseries, die man in
Deutschland fälschlicherweise Gobelins nennt, ob-
gleich dieser Name doch nur den in der Pariser
Manufacture des Gobelins erzeugten Stücken zukommt.
Die besten Brüsseler Arbeiten sind um Jahrhunderte
älter als die Pariser Fabrik.

In der Ausstellung sind gegen achtzig Wand-
teppiche vorhanden, dazu noch allerlei Material an
Entwürfen und Kartons, eine stattliche Zahl, die eine
gute Übersicht der ganzen Entwickelung dieser Kunst
gibt. Und doch fehlen die beiden wichtigsten Schätze:
die Wandteppiche aus dem Feldlager Karls des Kühnen,
welche die Schweizer bei Murten 1476 eroberten,
jetzt im Museum zu Bern, und ferner die unver-
gleichlichen Wunderwerke aus dem Besitze Kaiser
 
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