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ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
nauesten an. So haben wir wertvolle Bemerkungen, ja
schon breitere Untersuchungen von Lichtwark, Wust-
man, Lamprecht, Henrici, Gurlitt, Meier und anderen.
Man kennt den Streit, der unter den Historikern über
die Entstehung des deutschen Städtewesens immer
noch im Gange ist, man möchte fast wünschen, daß
von dieser Seite her den topographischen Verhält-
nissen unserer Städte eine größere Aufmerksamkeit
geschenkt worden wäre, als den rein rechtlichen. So
hat die ästhetische und kunstgeschichtliche Betrachtung
der Stadtgrundrisse einen bedeutenden Vorsprung.
Unstreitig hat Lichtwark bisher am meisten für die
Erkenntnis dieser Plangebilde getan. Mit seinem
ganzen Fühlen und Denken in Hamburg wurzelnd,
hat er sich doch nicht auf dieses und auf die Hanse-
städte überhaupt beschränkt, mit weitem Blick zog
er auch süddeutsche Städte, bis München und Stutt-
gart, dann Paris, und zuletzt auch nordische Haupt-
städte, wie Kopenhagen und Roeskilde in den Kreis
seiner Betrachtung. Im ganzen ist festzustellen, daß
dem Stadtplan, seiner typischen Ausgestaltung und
seinen lokalen Besonderheiten heute ein immer ernsteres
Studium gewidmet wird. Für die Theorie des Städte-
baues ist der Stadtplan in der Tat das wichtigste
Instrument. Es ist zu betonen, daß es sich dabei
nicht um das bloße Unterscheidenkönnen des alten
Stadtkernes von den äußeren Stadtteilen handelt, das
organische Adernsystem, das Gewirr schmaler, ge-
krümmter Gassen hier, die Schablone der Baublock-
figuren, der gradlinigen, meistens senkrecht zueinander
gelagerten Straßen dort, dazwischen der breite trennende
Saum der heute zu Promenadenstraßen umgewandelten
Umwallung — dies zu unterscheiden ist heute banal
und entgeht auch dem Laien nicht. Es handelt sich
vielmehr darum, für die Lagerung und Gliederung
der innern Quartiere, der Binnenstraßen und -platze
ein erkennendes Auge zu haben, und die Konsequenzen
und Forderungen zu sehen, die sich daraus für den
weiteren Ausbau der Stadt ergeben.
Aber die Beurteilungen, die von den bisherigen
Städtebautheoretikern diesen Verhältnissen gewidmet
wurden, leiten gleich in den tiefsten Kern der Fragen
hinein. In diesem Gebiet schillern die Meinungen
wie kaum in einem anderen. Denn woher kommt
es, daß der eine auf die Stadtanlagen der italienischen
Renaissance, der andere auf die fürstlichen Quartiere
der Barockzeit, der dritte auf die verschwiegene Schön-
heit der Gartenstraßen in thüringischen Residenznestern
hin orientiert ist? Fast alle, gute Deutsche sonst,
zwiespältigen Herzens. Weil das Problem des Städte-
baues unfehlbar auf ein Rassenproblem zurückverweist,
das dahinter verborgen ist. In allen unseren Stadt-
anlagen können wir das Vorhandensein von zwei
Typen beobachten, nämlich das romanische und das
germanische Städtebauen. Zwei Geistesverfassungen
sprechen sich darin aus, nämlich der mathematische,
geometrische, schematische Geist des Römers, und
der aller Regularität und Uniformität abholde, der
Ausprägung seiner Individualität zugeneigte Geist des
Deutschen. Natürlich ist nur von einem jeweiligen
Vorwalten des einen Prinzips vor dem anderen die
Rede, die Epochen sind wechselnd damit erfüllt, wie
denn das französische und das italienische Mittelalter
in dieser Beziehung so »germanisch« sind, daß es
zu einem schweren Fehler wird, einen alten Florentiner
oder Sieneser Platz aus dem Cinquecento mit dem
Markusplatz oder dem Kapitolsplatz in einem Atem
zu nennen. Die malerische Wirkung ist in beiden
Fällen ganz verschiedenen Charakters. Wie diese
Grundtypen in unseren deutschen Städten gemischt
auftreten, das zeigt sich bei unseren Stadtbildungen
aus dem 10. Jahrhundert und den Kolonialstädten
ebensogut, wie bei den Fürstensfädten des 18. Jahr-
hunderts, und die Gleichförmigkeit und Regelmäßig-
keit, mit der man das ganze 19. Jahrhundert hindurch
neue Quartiere beplante, reicht in ihrer Hauptwurzel
ebenfalls bis auf die römische Geistesverfassung zurück.
Es war ein unseliges Erbe und zu welchem Unheil
es uns bis zur allerjüngsten Zeit heran gediehen ist,
das drängt sich uns in jedem Augenblick auf. Welche
Verworrenheit muß in den Köpfen herrschen, wenn
uns Straßenzüge wie die Pariser Avenuen des zweiten
Kaiserreiches als mustergültig gepriesen werden! Ganz
abgesehen davon, daß diese Avenuen in einer ganz
anderen Kultur gewachsen sind, als der unsrigen.
Selbst ein Lichtwark ist hier nicht frei von Ver-
kennungen, selbst diesem überall und immer aufs
Organische gehenden Mann ist die volle Gesetzlich-
keit der Erscheinungen eines deutschen Planbildes
nicht erschlossen, meistens sieht er vom Boulevard,
vom Residenzkomplex aus in die Stadt hinein, während
er sich doch im Lebenszentrum der Stadt, im Markt,
aufstellen sollte. Seinen Standpunkt hat er in der
Gesetzlichkeit der Fürstenquartiere, über die Gesetz-
lichkeit der Bürgerstadt ist er schwankend. Wir wollen
nun festhalten: eine Stadt ist immer des Bürgers, es
gibt keine Königsstadt, es gibt immer nur ein Fürsten-
quartier in der Bürgerstadt, und zwar am Saum, mag
es auch im Lauf der Jahrhunderte ins Zentrum ge-
rückt erscheinen. Städtebau geht die Bürgerstadt an,
und wenn wir eine solche denken, dann meinen wir
eine typische deutsche Stadt, wie sie im 13. und
14. Jahrhundert geblüht hat.
Geschichtlich betrachtet, treten jene Unterschiede
schon auf, sobald überhaupt auf deutschem Boden
Städte entstehen. Die Römerstädte im Limesgebiet,
den Rhein hinauf und hinab richteten sich im Bereich
des Castrum und der Lagergassen ein. Aber schon
die mitteldeutsche Stadt wurde rein nach der Lagerung
des Geländes und nach individuellen Absichten er-
richtet, und auch in den östlichen (Kolonial)städten
durchbrach die Eigenwilligkeit des Bürgers meistens
sehr bald das abgesteckte Schema. So scheint in den
Römerstädten schon ein Erbe von der athenischen Agora
und vom pompejanischen Forum heraufzukommen
aber es war ein ganz fremdes Reis, was uns da auf
den Leib gepfropft werden sollte. Selbst Camillo
Sitte verkannte die Unterschiedlichkeit dabei: die
römische, schon stark perspektivische und abgezirkelte
Stadtanlage baut sich auf einer ganz anderen Rassen-
arbeit auf. Die Deutschen hätten es so gut haben
können in der geometrischen Regelmäßigkeit der
ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
nauesten an. So haben wir wertvolle Bemerkungen, ja
schon breitere Untersuchungen von Lichtwark, Wust-
man, Lamprecht, Henrici, Gurlitt, Meier und anderen.
Man kennt den Streit, der unter den Historikern über
die Entstehung des deutschen Städtewesens immer
noch im Gange ist, man möchte fast wünschen, daß
von dieser Seite her den topographischen Verhält-
nissen unserer Städte eine größere Aufmerksamkeit
geschenkt worden wäre, als den rein rechtlichen. So
hat die ästhetische und kunstgeschichtliche Betrachtung
der Stadtgrundrisse einen bedeutenden Vorsprung.
Unstreitig hat Lichtwark bisher am meisten für die
Erkenntnis dieser Plangebilde getan. Mit seinem
ganzen Fühlen und Denken in Hamburg wurzelnd,
hat er sich doch nicht auf dieses und auf die Hanse-
städte überhaupt beschränkt, mit weitem Blick zog
er auch süddeutsche Städte, bis München und Stutt-
gart, dann Paris, und zuletzt auch nordische Haupt-
städte, wie Kopenhagen und Roeskilde in den Kreis
seiner Betrachtung. Im ganzen ist festzustellen, daß
dem Stadtplan, seiner typischen Ausgestaltung und
seinen lokalen Besonderheiten heute ein immer ernsteres
Studium gewidmet wird. Für die Theorie des Städte-
baues ist der Stadtplan in der Tat das wichtigste
Instrument. Es ist zu betonen, daß es sich dabei
nicht um das bloße Unterscheidenkönnen des alten
Stadtkernes von den äußeren Stadtteilen handelt, das
organische Adernsystem, das Gewirr schmaler, ge-
krümmter Gassen hier, die Schablone der Baublock-
figuren, der gradlinigen, meistens senkrecht zueinander
gelagerten Straßen dort, dazwischen der breite trennende
Saum der heute zu Promenadenstraßen umgewandelten
Umwallung — dies zu unterscheiden ist heute banal
und entgeht auch dem Laien nicht. Es handelt sich
vielmehr darum, für die Lagerung und Gliederung
der innern Quartiere, der Binnenstraßen und -platze
ein erkennendes Auge zu haben, und die Konsequenzen
und Forderungen zu sehen, die sich daraus für den
weiteren Ausbau der Stadt ergeben.
Aber die Beurteilungen, die von den bisherigen
Städtebautheoretikern diesen Verhältnissen gewidmet
wurden, leiten gleich in den tiefsten Kern der Fragen
hinein. In diesem Gebiet schillern die Meinungen
wie kaum in einem anderen. Denn woher kommt
es, daß der eine auf die Stadtanlagen der italienischen
Renaissance, der andere auf die fürstlichen Quartiere
der Barockzeit, der dritte auf die verschwiegene Schön-
heit der Gartenstraßen in thüringischen Residenznestern
hin orientiert ist? Fast alle, gute Deutsche sonst,
zwiespältigen Herzens. Weil das Problem des Städte-
baues unfehlbar auf ein Rassenproblem zurückverweist,
das dahinter verborgen ist. In allen unseren Stadt-
anlagen können wir das Vorhandensein von zwei
Typen beobachten, nämlich das romanische und das
germanische Städtebauen. Zwei Geistesverfassungen
sprechen sich darin aus, nämlich der mathematische,
geometrische, schematische Geist des Römers, und
der aller Regularität und Uniformität abholde, der
Ausprägung seiner Individualität zugeneigte Geist des
Deutschen. Natürlich ist nur von einem jeweiligen
Vorwalten des einen Prinzips vor dem anderen die
Rede, die Epochen sind wechselnd damit erfüllt, wie
denn das französische und das italienische Mittelalter
in dieser Beziehung so »germanisch« sind, daß es
zu einem schweren Fehler wird, einen alten Florentiner
oder Sieneser Platz aus dem Cinquecento mit dem
Markusplatz oder dem Kapitolsplatz in einem Atem
zu nennen. Die malerische Wirkung ist in beiden
Fällen ganz verschiedenen Charakters. Wie diese
Grundtypen in unseren deutschen Städten gemischt
auftreten, das zeigt sich bei unseren Stadtbildungen
aus dem 10. Jahrhundert und den Kolonialstädten
ebensogut, wie bei den Fürstensfädten des 18. Jahr-
hunderts, und die Gleichförmigkeit und Regelmäßig-
keit, mit der man das ganze 19. Jahrhundert hindurch
neue Quartiere beplante, reicht in ihrer Hauptwurzel
ebenfalls bis auf die römische Geistesverfassung zurück.
Es war ein unseliges Erbe und zu welchem Unheil
es uns bis zur allerjüngsten Zeit heran gediehen ist,
das drängt sich uns in jedem Augenblick auf. Welche
Verworrenheit muß in den Köpfen herrschen, wenn
uns Straßenzüge wie die Pariser Avenuen des zweiten
Kaiserreiches als mustergültig gepriesen werden! Ganz
abgesehen davon, daß diese Avenuen in einer ganz
anderen Kultur gewachsen sind, als der unsrigen.
Selbst ein Lichtwark ist hier nicht frei von Ver-
kennungen, selbst diesem überall und immer aufs
Organische gehenden Mann ist die volle Gesetzlich-
keit der Erscheinungen eines deutschen Planbildes
nicht erschlossen, meistens sieht er vom Boulevard,
vom Residenzkomplex aus in die Stadt hinein, während
er sich doch im Lebenszentrum der Stadt, im Markt,
aufstellen sollte. Seinen Standpunkt hat er in der
Gesetzlichkeit der Fürstenquartiere, über die Gesetz-
lichkeit der Bürgerstadt ist er schwankend. Wir wollen
nun festhalten: eine Stadt ist immer des Bürgers, es
gibt keine Königsstadt, es gibt immer nur ein Fürsten-
quartier in der Bürgerstadt, und zwar am Saum, mag
es auch im Lauf der Jahrhunderte ins Zentrum ge-
rückt erscheinen. Städtebau geht die Bürgerstadt an,
und wenn wir eine solche denken, dann meinen wir
eine typische deutsche Stadt, wie sie im 13. und
14. Jahrhundert geblüht hat.
Geschichtlich betrachtet, treten jene Unterschiede
schon auf, sobald überhaupt auf deutschem Boden
Städte entstehen. Die Römerstädte im Limesgebiet,
den Rhein hinauf und hinab richteten sich im Bereich
des Castrum und der Lagergassen ein. Aber schon
die mitteldeutsche Stadt wurde rein nach der Lagerung
des Geländes und nach individuellen Absichten er-
richtet, und auch in den östlichen (Kolonial)städten
durchbrach die Eigenwilligkeit des Bürgers meistens
sehr bald das abgesteckte Schema. So scheint in den
Römerstädten schon ein Erbe von der athenischen Agora
und vom pompejanischen Forum heraufzukommen
aber es war ein ganz fremdes Reis, was uns da auf
den Leib gepfropft werden sollte. Selbst Camillo
Sitte verkannte die Unterschiedlichkeit dabei: die
römische, schon stark perspektivische und abgezirkelte
Stadtanlage baut sich auf einer ganz anderen Rassen-
arbeit auf. Die Deutschen hätten es so gut haben
können in der geometrischen Regelmäßigkeit der