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ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
LANGGASSE IN DANZIG
Römerstädte — aber doch beeilten sie sich, über das
Kastell hinaus, abgesehen von einem gewissen Einfluß
der Längs- und Querseiten desselben, wieder zum
gewohnten »Gassengewirr« überzugehen. Und die im
kolonisierten Slavenland gegründeten Städte entsprachen
auch nur um die Zeit der Absteckung selbst dem
Schema, erstens baute man, wo nichts mehr abgesteckt
war, so schief und krumm fort, wie im Südwesten,
und zweitens wurde selbst über abgesteckte Straßen
und Plätze in vielen Fällen die schöne deutsche
Systemlosigkeit wieder Herr. Diese Abweichungen
sind sogar in Danzig, einer reinen Kolonialstadt, zu
beobachten, besonders am Langen Markt. Es darf
bei dieser ganzen Entwickelung nicht übersehen werden,
daß die Gekrümmtheit und die Enge von Straßen im
alten Deutschland mit eine Folge von dem meist ge-
birgigen oder hügeligen Gelände ist, während auf
dem flachen Boden des kolonialen Ostens an sich
alle Verkehrslinien gestreckter verlaufen, und daher
einem linearen Schema mehr oder weniger nahe
kommen können.
Aus alledem wird schon zum Ausdruck gekommen
sein, welch großes Gewicht auf die Naturbedingtheit
von Stadtanlagen gelegt werden muß. Die Rasse
wächst ja auch aus dem Boden. Der Boden gibt
dem Städtebau die fundamentalsten Bedingungen. So
ergibt sich als wichtigstes und allgemeinstes Prinzip
das der lokalen Topographie, der Geländegestaltung,
der Lagerung und Gliederung des Stadtraumes in
horizontaler und vertikaler Beziehung. Dem-
gegenüber wuchert in fast der gesamten Städte-
bauliteratur, was als Zufallstheorie zu bezeichnen
wäre. Man spricht der Laune, der Willkür,
dem Zufall einen überaus großen Einfluß zu,
man sagt, beim alten Städtebau habe jegliche
Überlegung und Absicht gefehlt und darum
seien die Straßen so krumm und schief und
der ganze Grundriß der Stadt so planlos ge-
worden. Das sind arge Fabeln. Gerade das Gegen-
teil ist richtig. Jeder Grundriß eines alten Stadt-
kernes predigt von der weisen Überlegung, von
dem wundervollen Anpassungsvermögen an die
Verhältnisse, die darin gewaltet haben. Unsere
modernen linearen Straßen sind Zufallsbildungen,
Augenblicksbedürfnissen entsprungen. Wenn
Zufall in alten Zeiten herrschte, so brachte er
meistens glücklicheres und wirkungsvolleres zu-
stande. Man denke dagegen nur, von welcher
gedankenlosen Willkür, von welchem Zufalls-
tun die ganzen modernen Planlegungen be-
herrscht worden sind und noch beherrscht
werden, solange Geometer das Stadtbild auf
dem Reißbrett machen dürfen. Was ferner
Zufall genannt werden möchte, z. B. die ört-
lichen Verhältnisse, das sind in der Tat Ge-
legenheiten, die verstanden und benützt wer-
den müssen. Ja, wenn unsere alten Städte
keine Regelmäßigkeit aufweisen, sind sie da
gleich »ohne ersichtlichen Plan« (Below) ge-
macht? »Man ließ sich von der Gewohn-
heit und vom momentanen Bedürfnis leiten.«
Ja, besteht nicht vielmehr das Problem darin, eben
aus dem Netz von verwinkelten Gassen den ur-
sprünglichen Plan herauszuerkennen, den Plan, den
der Boden den Erbauern einprägte! Alle Bildungen
im Stadtplan seien dem Zufall und der Willkür über-
lassen gewesen! (Dies von Lichtwark in bezug auf
Hamburg gesagt). Und da sei es fast ein Wunder,
daß die Stadt so schön geblieben sei! Aber sie ist ja
gerade deshalb so schön geblieben und dann herrschte
in ihrer Anlage überhaupt niemals Zufall und Willkür;
hier hat die Natur gebaut, es ist ausgeschaltet, wo
eine Stadtseele, ein Gemeinschaftsbewußtsein der Bürger-
schaft an der Arbeit ist. Ebenso kann nicht gesagt
werden, die alte Stadt Kopenhagen sei ohne Einheit
des Planes gewachsen. Es sei erläutert am Beispiel
des Hamburger Stadtplanes, eine Vertiefung ins Or-
ganische hinein zu zeigen, die Lichtwark weit mehr
in den Mittelpunkt seiner Interpretation hätte rücken
müssen. Wie stets liest er im Stadtplan den Charakter
ab, er sucht die Wurzeln im Gang der Entwickelung:
da ist alles umgeändert, umgebaut, umgegraben worden;
da entstanden Kanäle, Fleete, Flüsse, da wurden Dämme
verlegt, da wurden Bassins gebildet, wieder zugeschüttet
und wieder neu aufgegraben, da wurden um der
Hafenanlagen willen ganze althistorische Quartiere
weggerissen, da wurde der alte Dom dem Erdboden
gleich gemacht, da wurden alle Flußbette reguliert,
da wurde nach dem Brand von 1842 ein neues Stadt-
zentrum gebildet, mit großem Raumgefühl — aber
ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
LANGGASSE IN DANZIG
Römerstädte — aber doch beeilten sie sich, über das
Kastell hinaus, abgesehen von einem gewissen Einfluß
der Längs- und Querseiten desselben, wieder zum
gewohnten »Gassengewirr« überzugehen. Und die im
kolonisierten Slavenland gegründeten Städte entsprachen
auch nur um die Zeit der Absteckung selbst dem
Schema, erstens baute man, wo nichts mehr abgesteckt
war, so schief und krumm fort, wie im Südwesten,
und zweitens wurde selbst über abgesteckte Straßen
und Plätze in vielen Fällen die schöne deutsche
Systemlosigkeit wieder Herr. Diese Abweichungen
sind sogar in Danzig, einer reinen Kolonialstadt, zu
beobachten, besonders am Langen Markt. Es darf
bei dieser ganzen Entwickelung nicht übersehen werden,
daß die Gekrümmtheit und die Enge von Straßen im
alten Deutschland mit eine Folge von dem meist ge-
birgigen oder hügeligen Gelände ist, während auf
dem flachen Boden des kolonialen Ostens an sich
alle Verkehrslinien gestreckter verlaufen, und daher
einem linearen Schema mehr oder weniger nahe
kommen können.
Aus alledem wird schon zum Ausdruck gekommen
sein, welch großes Gewicht auf die Naturbedingtheit
von Stadtanlagen gelegt werden muß. Die Rasse
wächst ja auch aus dem Boden. Der Boden gibt
dem Städtebau die fundamentalsten Bedingungen. So
ergibt sich als wichtigstes und allgemeinstes Prinzip
das der lokalen Topographie, der Geländegestaltung,
der Lagerung und Gliederung des Stadtraumes in
horizontaler und vertikaler Beziehung. Dem-
gegenüber wuchert in fast der gesamten Städte-
bauliteratur, was als Zufallstheorie zu bezeichnen
wäre. Man spricht der Laune, der Willkür,
dem Zufall einen überaus großen Einfluß zu,
man sagt, beim alten Städtebau habe jegliche
Überlegung und Absicht gefehlt und darum
seien die Straßen so krumm und schief und
der ganze Grundriß der Stadt so planlos ge-
worden. Das sind arge Fabeln. Gerade das Gegen-
teil ist richtig. Jeder Grundriß eines alten Stadt-
kernes predigt von der weisen Überlegung, von
dem wundervollen Anpassungsvermögen an die
Verhältnisse, die darin gewaltet haben. Unsere
modernen linearen Straßen sind Zufallsbildungen,
Augenblicksbedürfnissen entsprungen. Wenn
Zufall in alten Zeiten herrschte, so brachte er
meistens glücklicheres und wirkungsvolleres zu-
stande. Man denke dagegen nur, von welcher
gedankenlosen Willkür, von welchem Zufalls-
tun die ganzen modernen Planlegungen be-
herrscht worden sind und noch beherrscht
werden, solange Geometer das Stadtbild auf
dem Reißbrett machen dürfen. Was ferner
Zufall genannt werden möchte, z. B. die ört-
lichen Verhältnisse, das sind in der Tat Ge-
legenheiten, die verstanden und benützt wer-
den müssen. Ja, wenn unsere alten Städte
keine Regelmäßigkeit aufweisen, sind sie da
gleich »ohne ersichtlichen Plan« (Below) ge-
macht? »Man ließ sich von der Gewohn-
heit und vom momentanen Bedürfnis leiten.«
Ja, besteht nicht vielmehr das Problem darin, eben
aus dem Netz von verwinkelten Gassen den ur-
sprünglichen Plan herauszuerkennen, den Plan, den
der Boden den Erbauern einprägte! Alle Bildungen
im Stadtplan seien dem Zufall und der Willkür über-
lassen gewesen! (Dies von Lichtwark in bezug auf
Hamburg gesagt). Und da sei es fast ein Wunder,
daß die Stadt so schön geblieben sei! Aber sie ist ja
gerade deshalb so schön geblieben und dann herrschte
in ihrer Anlage überhaupt niemals Zufall und Willkür;
hier hat die Natur gebaut, es ist ausgeschaltet, wo
eine Stadtseele, ein Gemeinschaftsbewußtsein der Bürger-
schaft an der Arbeit ist. Ebenso kann nicht gesagt
werden, die alte Stadt Kopenhagen sei ohne Einheit
des Planes gewachsen. Es sei erläutert am Beispiel
des Hamburger Stadtplanes, eine Vertiefung ins Or-
ganische hinein zu zeigen, die Lichtwark weit mehr
in den Mittelpunkt seiner Interpretation hätte rücken
müssen. Wie stets liest er im Stadtplan den Charakter
ab, er sucht die Wurzeln im Gang der Entwickelung:
da ist alles umgeändert, umgebaut, umgegraben worden;
da entstanden Kanäle, Fleete, Flüsse, da wurden Dämme
verlegt, da wurden Bassins gebildet, wieder zugeschüttet
und wieder neu aufgegraben, da wurden um der
Hafenanlagen willen ganze althistorische Quartiere
weggerissen, da wurde der alte Dom dem Erdboden
gleich gemacht, da wurden alle Flußbette reguliert,
da wurde nach dem Brand von 1842 ein neues Stadt-
zentrum gebildet, mit großem Raumgefühl — aber