Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

DOI Artikel:
Zeitler, Julius: Über künstlerischen Städtebau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0092

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU

75

wo liegt in dieser Flucht der Dinge das Bleibende, was
ist Mittelpunkt aller Bezüge? Die alte Heerstraße von
Lauenburg, der einzige Straßenzug, der aus der Urzeit
im alten Verlauf erhalten ist, und der schon in vor-
geschichtlicher Zeit über die Furt der Alster ging.
»Man sieht ihren Krümmungen heute noch an, wie
sie einst sich der Gestalt des Terrains anschmiegte.«
Und hier, auf der die Furt beherrschenden Höhe lag
die älteste Stadt, nicht im Alsterdelta. Diese schmieg-
same, dem Terrain angepaßte Straße ist das Entscheidende.
Daß in diesen Zusammenhängen kein Zufall spielt,
hat auch Charles Buls ausgeführt: »Es kann diesem
nicht ein Ergebnis zugeschrieben werden, das dem
natürlichen Wachstum der Wohnungen längs eines
gewundenen, nach und nach zum Range einer Straße
erhobenen Pfades zu verdanken ist.« So spricht auch
Henrici jedem Stadtplan sein ganz bestimmtes System,
seine ganz bestimmten Ursachen zu. Selbst die Un-
regelmäßigkeiten, die im Rechtecksystem der Pläne
alter Römerstädte auftreten, sind gesetzmäßig. Kein
Ansiedler setzte sich »nach zufälligem Bedarf« auf
dem Boden fest. (Wenn Camillo Sitte sagt, die Alten
bauten mit Überlegung und handhabten den Städte-
bau mit Bewußtsein und Meisterschaft, so schwebten
ihm wohl italienische Muster vor; im ganzen war
er durchaus ein Gegner dieser Zufallsauffassung.)

Die lokale Topographie bleibt also im Recht.
Sie ist der Hauptfaktor im Werden einer Stadt. Wie
er in diesem Werden zur Geltung kommt, das ist
jetzt in den Hauptzügen zu untersuchen. Hier stößt
man auf Kräfte, die heute ebenso in Geltung sind,
wie vor tausend Jahren, und die man kennen muß,
wenn man etwa einen guten Plan zu einer modernen
Stadterweiterung machen will. Welche Stelle eine
Ansiedelung wählt, das ist ihr schon durch die For-
mation des Geländes vorgezeichnet. Dies trifft schon
auf jede Dorfschaft zu, die wieder ihre
Keimzelle in den verschiedenen Wander-
lagerformen hat, in denen auch schon
ganz bestimmte Hauptkommunikations-
linien zum Ausdruck kommen —■ das
Ringlager vergrößert sich durch Radial-
straßen, das Längslager durch Angliede-
rung von Parallelstraßen. Unsere Dörfer
sind durchaus nicht bloß malerisch zu-
sammengewürfelt, sie zeigen vielmehr
eine ganz vortreffliche Gruppierung der
Baukomplexe am Wegnetz. Und die
gewundene Weganlage ist auch das
Merkmal der Dorfstraße. Damit stehen
wir bei einem der wichtigsten, zur Nie-
derlassung reizenden Faktoren, beim
Weg. Es sind also gebahnte Wege, Stra-
ßen des Handelsverkehrs, Flüsse, die
sich mit der günstigen Lage vereinigen
müssen, besonders die Kreuzungsstellen
von Straßenzügen mit Flüssen, Furten.
Man mache es sich klar: wie ent-
stehen denn Wege? Ich meine, ganz
natürlich und organisch wachsende heu-
tige Wege (denn jene großen Handels-

und Heerstraßen, die schon unserer Urbevölkerung
dienten, sind schließlich nicht anders entstanden).
Wohin man auch kommen will, immer muß man
über natürlichen Boden gehen; man hat also mit der
Gestalt des Bodens zu rechnen, der das Hindernis
ist, mit dem verschiedenartigsten Terrain, sei es nun
schwierig oder leicht; natürlich hat man das Bestreben,
möglichst wenig Kraft aufzuwenden und möglichst
geringe Zeit zu brauchen. Der Pfad, den man ge-
treten hat, schmiegt sich der Bodenform an, und
wenn er es nicht das erste Mal tut, so ergibt sich
der Weg durch die stetig wiederholte Auswahl des
Besten aus vielen Versuchen. Wir sehen die natür-
liche Auslese am Werk. So ein Weg hat natürlich
nichts Abgestecktes, sondern er richtet sich nach der
größten Gangbarkeit, natürlich hat er dann Knicke
und Krümmungen. Begangen wird der Pfad zum
Weg. Wird er Verkehrsweg, so entwickelt er sich
zur Straße, und der rollende Wagen, das Hauptver-
kehrsfahrzeug, bildet geschwungene Kurven aus. In
jeder unserer Hauptverkehrsadern steckt die soeben
entwickelte Idee des Weges, der Urweg, noch darin
als Kern. Und Ansiedelungen legen sich den Weg
entlang, immer ist der Weg älter, früher als die An-
siedlung, das älteste an unseren Städten sind bestimmte
Straßenzüge. Entwickelt sich nun aus der Gruppe
von Ansiedelungen ein größerer Verband, eine Stadt,
so stecken doch noch in ihm und in seinem Straßen-
netz all die vielen selektierten Wegspuren drin, auch
wenn sich auf dem Boden noch so hohe säkulare
Schuttmassen häuften. So bildete sich, so erwuchs,
im Einzelnen durch unendlich vieflokale Beziehungen
determiniert, das Straßennetz, und es ist in der Tat
der Schlüssel zu dem ganzen Bebauungsplan unserer
alten Städte. Für die neuen haben wir ihn verloren.
Stets folgt die Bebauung, die Gegeneinanderlagerung

ANDREASPLATZ IN HILDESHEIM

11«
 
Annotationen