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ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
der Häuser diesem ursprünglichen Wegnefz, ange-
schmiegt an die natürliche Wegeführung, an die ge-
wordenen Kurven.
Nächst den Landstraßen und ihren Einwirkungen
auf das Wegnetz innerhalb der Ansiedelung wurde
die Umwallung, die Befestigung von äußerster Wichtig-
keit, von so großer, daß uns heute die Geschichte
des Mauergürtels die Geschichte des Wachstums der
Stadt darstellt. Die typische Form der Stadt ist die
befestigte Stadt, ohne Mauer ist es keine Stadt. Und
dieser Mauergürtel übt auch von vornherein auf das
Straßennetz eine Bestimmung aus. Nur durch den
Bering wurde die Stadt eine geschlossene Wohnung,
bekam sie ihren geschlossenen Charakter. Da wo die
Landstraßen einmündeten, oder hinausführten, ent-
standen Torburgen. Eine wertvolle Furt forderte
selbst die Aufführung einer »Burg an der Brücke«,
einer Befestigung des Brückenkopfes, und der durch
die Brücke zum Stadtinneren führende Straßenzug
ging meistens mitten durch die Burg. Hier ist über-
haupt die Lage der Burg des Stadtherrn wichtig.
Das Schloß des späteren Territorialherrn legte sich
ausnahmslos an den Saum der Ansiedlung, an die
Mauer oder in den Zug der Mauer. Doch machen
sich auch hier schon in der frühesten Zeit organische
Notwendigkeiten geltend, stets gehört die Höhe dem
Mächtigen und dem Schutzgewährenden, stets siedeln
sich die Bürger am Hang, in der Niederung, unter
dem Schatten der schirmenden Veste an. Das ist
naturnotwendig, nie baut sich der Ansiedler seine
Hütte auf den Gipfel des Berges, der gehört stets dem
DIE MAXIMILIANSTRASSE IN AUGSBURG
Wall und dem Turm, hinter denen er sich bei An-
griffen bergen kann. Es ist also nicht der bewußte
Wille des Stadtherrn, daß er sich hier anbaut, sondern
es ist der Wille der ganzen Gemeinschaft, und letzten
Endes wieder die lokale Topographie.
Unter allen diesen Einwirkungen kristallisiert sich
das Straßennetz der von der Mauer geschlossenen
Stadt heraus, die nächste Folge ist, daß das Gelände
zwischen den Wegen vollends und nach einem Plan
aufgeteilt wird, nach dem Prinzip von Hufen, die
idealste Form der Bodenparzellierung, die wir in
unserer Geschichte kennen und die sich namentlich
von den Formen der heutigen Grundstückspekulation
und -Verteilung glänzend abhebt. Und darin ent-
stehen die Märkte, entweder als Ausbauchungen von
Straßen, als abgesteckte Räume oder als ausgedehnte
Kreuzungsstellen von Straßen.
Zu alledem tritt noch der Charakter der alten
Stadtbürger, in deren Gesamtheit ein umfassendes
Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten der
Stadt lebte — und der Stadtbau ist in eminentem
Maß eine öffentliche Sorge; es bekümmerten sich alle
umeinander, sie machten es zusammen aus, wie jeder
am besten baute, sie förderten ihre Absichten in ge-
meinsamen Beratungen, und in der Ausführung des
Baues richteten sie sich meist nach dem Augenmaß,
sie bauten wirklich mit optischem Gefühl in den Raum
hinein. Weil es nun jedem erlaubt war, sein Haus
bequem hinzusetzen, bekam es Individualität und da-
mit wurde der ganze Straßenzug lebendig. Und dieser
Straßenzug war geschlossen, eben wegen jener Not-
wendigkeit, sich auf be-
stimmtem Raum einzurich-
ten, und die nächste Folge
dieser Geschlossenheit war
seine lebensvolle Gekrümmt-
heit — er war wohnlich.
Und dieselbe Geschlossen-
heit zeichnete auch die
Plätze aus, immer führen
die Straßen zu den Ecken
der Plätze hinein oder an
den Seiten des Platzes ent-
lang, daß eine Hauptader
eine Platzwandung durch-
bricht und damit das ganze
künstlerische Gefüge ver-
stört, kommt nicht vor. Der
Markt wirkt so wie ein
Saal, aus dem man durch
die einmündenden Straßen
nicht hinaussehen kann.
Ferner laufen Straßen, die
ungefähr dieselbe Rich-
tung nehmen, nie gerad-
linig ineinander über, son-
dern begegnen sich in einer
Verstellung der Flucht-
linien, und diese Verstellung
trägt zur Schließung des
Straßenbildes mächtig bei.
ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
der Häuser diesem ursprünglichen Wegnefz, ange-
schmiegt an die natürliche Wegeführung, an die ge-
wordenen Kurven.
Nächst den Landstraßen und ihren Einwirkungen
auf das Wegnetz innerhalb der Ansiedelung wurde
die Umwallung, die Befestigung von äußerster Wichtig-
keit, von so großer, daß uns heute die Geschichte
des Mauergürtels die Geschichte des Wachstums der
Stadt darstellt. Die typische Form der Stadt ist die
befestigte Stadt, ohne Mauer ist es keine Stadt. Und
dieser Mauergürtel übt auch von vornherein auf das
Straßennetz eine Bestimmung aus. Nur durch den
Bering wurde die Stadt eine geschlossene Wohnung,
bekam sie ihren geschlossenen Charakter. Da wo die
Landstraßen einmündeten, oder hinausführten, ent-
standen Torburgen. Eine wertvolle Furt forderte
selbst die Aufführung einer »Burg an der Brücke«,
einer Befestigung des Brückenkopfes, und der durch
die Brücke zum Stadtinneren führende Straßenzug
ging meistens mitten durch die Burg. Hier ist über-
haupt die Lage der Burg des Stadtherrn wichtig.
Das Schloß des späteren Territorialherrn legte sich
ausnahmslos an den Saum der Ansiedlung, an die
Mauer oder in den Zug der Mauer. Doch machen
sich auch hier schon in der frühesten Zeit organische
Notwendigkeiten geltend, stets gehört die Höhe dem
Mächtigen und dem Schutzgewährenden, stets siedeln
sich die Bürger am Hang, in der Niederung, unter
dem Schatten der schirmenden Veste an. Das ist
naturnotwendig, nie baut sich der Ansiedler seine
Hütte auf den Gipfel des Berges, der gehört stets dem
DIE MAXIMILIANSTRASSE IN AUGSBURG
Wall und dem Turm, hinter denen er sich bei An-
griffen bergen kann. Es ist also nicht der bewußte
Wille des Stadtherrn, daß er sich hier anbaut, sondern
es ist der Wille der ganzen Gemeinschaft, und letzten
Endes wieder die lokale Topographie.
Unter allen diesen Einwirkungen kristallisiert sich
das Straßennetz der von der Mauer geschlossenen
Stadt heraus, die nächste Folge ist, daß das Gelände
zwischen den Wegen vollends und nach einem Plan
aufgeteilt wird, nach dem Prinzip von Hufen, die
idealste Form der Bodenparzellierung, die wir in
unserer Geschichte kennen und die sich namentlich
von den Formen der heutigen Grundstückspekulation
und -Verteilung glänzend abhebt. Und darin ent-
stehen die Märkte, entweder als Ausbauchungen von
Straßen, als abgesteckte Räume oder als ausgedehnte
Kreuzungsstellen von Straßen.
Zu alledem tritt noch der Charakter der alten
Stadtbürger, in deren Gesamtheit ein umfassendes
Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten der
Stadt lebte — und der Stadtbau ist in eminentem
Maß eine öffentliche Sorge; es bekümmerten sich alle
umeinander, sie machten es zusammen aus, wie jeder
am besten baute, sie förderten ihre Absichten in ge-
meinsamen Beratungen, und in der Ausführung des
Baues richteten sie sich meist nach dem Augenmaß,
sie bauten wirklich mit optischem Gefühl in den Raum
hinein. Weil es nun jedem erlaubt war, sein Haus
bequem hinzusetzen, bekam es Individualität und da-
mit wurde der ganze Straßenzug lebendig. Und dieser
Straßenzug war geschlossen, eben wegen jener Not-
wendigkeit, sich auf be-
stimmtem Raum einzurich-
ten, und die nächste Folge
dieser Geschlossenheit war
seine lebensvolle Gekrümmt-
heit — er war wohnlich.
Und dieselbe Geschlossen-
heit zeichnete auch die
Plätze aus, immer führen
die Straßen zu den Ecken
der Plätze hinein oder an
den Seiten des Platzes ent-
lang, daß eine Hauptader
eine Platzwandung durch-
bricht und damit das ganze
künstlerische Gefüge ver-
stört, kommt nicht vor. Der
Markt wirkt so wie ein
Saal, aus dem man durch
die einmündenden Straßen
nicht hinaussehen kann.
Ferner laufen Straßen, die
ungefähr dieselbe Rich-
tung nehmen, nie gerad-
linig ineinander über, son-
dern begegnen sich in einer
Verstellung der Flucht-
linien, und diese Verstellung
trägt zur Schließung des
Straßenbildes mächtig bei.