ÜBER KÜNSTLERISCHEN STÄDTEBAU
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DER KLEBERPLATZ ZU STRASSBURO
Auf diese Plätze nun und in diese Gassen stellten
die Altvordern mit dem größten künstlerischen Emp-
finden ihre Denkmäler und Brunnen — wie, ist
altbekannt und es ist zu hoffen, daß die genialen
Forderungen eines Camillo Sitte über die Beziehungen
zwischen Bauten, Monumenten und Plätzen nicht
umsonst aufgestellt sein möchten. Dieser Bahnbrecher
des wahren Städtebauens hat auch aufs eindringlichste
vor der Bevorzugung der Mittelachse gewarnt, kein
Denkmal und auch kein monumentales Gebäude
wünschte er in die Visurrichtung gestellt, leider hat
er jene verderbliche Wirkung der Mittelachse im
Geltungsbereich des Barockstils und der ganzen Bau-
weisen des iq. Jahrhunderts nicht so sehr bekämpft,
was doch in letzter Linie in seiner Befangenheit ge-
genüber der Renaissance und den aus ihr abgeleiteten
Stilen begründet sein mag.
So sind die künstlerischen Städtebilder entstanden,
die wir heute bewundern und in den genetischen
Linien, die aufgezeigt worden sind, stecken zugleich
die ästhetischen Komponenten, die ihre Wirkung her-
vorbringen und erklären. Was heute aus unseren
Städten geworden ist, das ist bekannt. Mit frevelnder
Hand hat man das ganze 19. Jahrhundert hindurch
einen Eingriff nach dem anderen in die alten Stadt-
kerne gemacht, nach der allgemeinen Enffestigung
stellte sich mit dem Wachsen der Bevölkerung das
immer größere Toben des Verkehrs ein, Straßendurch-
brüche und -korrektionen sollten helfen, es kam die
Barbarei der Baufluchtlinien über die Altstädte, un-
barmherzig und mit einem fanatischen Eifer legte
man Dome und Kirchen frei, rasierte alte Torbauten
und war sogar schon im
Begriff, vor den ehrwür-
digsten Bauten der Stadt
alle Pietät zu verlieren.
Endlich aber kam es doch
zu einer Umkehr, man be-
schäftigte sich eifrig mit
den Problemen des Re-
staurierens, des Verhaltens
bei Neubauten im Stadt-
kern, des »Begradigens«
im Stadtinnern, man er-
innerte sich des Wertes
der alten Denkmäler, es
werden Denkmalschutz-
gesetze angebahnt, ganze
alte Stadtkerne sollen in-
ventarisiert werden mit-
samt ihrem Grundriß (wie
in Hessen), die fortge-
schrittensten Städte haben
schon die Einrichtung
ständiger Kunstkommis-
sionen, ja es wird schon
die Axt an die Wurzel ge-
legt, die Baupolizeiver-
ordnungen sollen revidiert
werden. Aber dies ist
alles bekannt und betrifft
hauptsächlich die Innenstädte. Die Hauptsache aber
bleibt der Städtebau in den Außenteilen, der Neubau
der Stadt. Dieser ist so wichtig, daß alles Vorher-
gehende nur als eine prinzipielle Einleitung dazu ge-
nommen werden muß.
Es fand schon Erwähnung, daß die gesamte Städte-
bauweise des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem tiefsten
Verfall auf die Spätrenaissance zurückzuleiten ist. Die
großartige Beherrschung bedeutender Baumassen im
Sinn des absoluten Fürstentums, die souveräne Be-
wältigung großer Raumausschnitte, die Zusammen-
fassung von Baugruppen zu einer malerischen Gesamt-
wirkung nahm von da ihren Ausgang. Über Frank-
reich kam seit dem Ende des 17. und Anfang des
18. Jahrhunderts dieses Bauschaffen nach Deutschland.
Es ist die Entstehungszeit der großen Residenzen.
Die Fürsten, geistliche wie weltliche, verlegten ihre
Hofhaltung in eine geöffnete Stadt, wo sie in mög-
lichst ebener und freier Lage Raum hatten, sich de-
korativ zu entfalten. Niemals tasteten diese Fürsten
alte Stadtkerne an, setzten etwa ihr Schloß an den
Markt, das hätte sich schon durch hindernde Grund-
rechte verboten, außerdem hätte sich ihre merkanti-
listische Gesinnung gegen solch einschneidende Maß-
regeln gesträubt. Nein, sie wollten sich an den Rand
der Stadt setzen, wo sie sich frei ausdehnen, wo sie
ihr Schloß, ihren Hofgarten und die repräsentativen
Bauten ihres Hofgesindes zusammenkomponieren konn-
ten. An diesen Stellen fiel auch die Umwallung, der
Graben wurde ausgefüllt und auf diesem Terrain er-
hob sich nun das Fürstenquartier, das erste Beispiel
einer Planung und einer Stadtgründung, die dem be-
77
DER KLEBERPLATZ ZU STRASSBURO
Auf diese Plätze nun und in diese Gassen stellten
die Altvordern mit dem größten künstlerischen Emp-
finden ihre Denkmäler und Brunnen — wie, ist
altbekannt und es ist zu hoffen, daß die genialen
Forderungen eines Camillo Sitte über die Beziehungen
zwischen Bauten, Monumenten und Plätzen nicht
umsonst aufgestellt sein möchten. Dieser Bahnbrecher
des wahren Städtebauens hat auch aufs eindringlichste
vor der Bevorzugung der Mittelachse gewarnt, kein
Denkmal und auch kein monumentales Gebäude
wünschte er in die Visurrichtung gestellt, leider hat
er jene verderbliche Wirkung der Mittelachse im
Geltungsbereich des Barockstils und der ganzen Bau-
weisen des iq. Jahrhunderts nicht so sehr bekämpft,
was doch in letzter Linie in seiner Befangenheit ge-
genüber der Renaissance und den aus ihr abgeleiteten
Stilen begründet sein mag.
So sind die künstlerischen Städtebilder entstanden,
die wir heute bewundern und in den genetischen
Linien, die aufgezeigt worden sind, stecken zugleich
die ästhetischen Komponenten, die ihre Wirkung her-
vorbringen und erklären. Was heute aus unseren
Städten geworden ist, das ist bekannt. Mit frevelnder
Hand hat man das ganze 19. Jahrhundert hindurch
einen Eingriff nach dem anderen in die alten Stadt-
kerne gemacht, nach der allgemeinen Enffestigung
stellte sich mit dem Wachsen der Bevölkerung das
immer größere Toben des Verkehrs ein, Straßendurch-
brüche und -korrektionen sollten helfen, es kam die
Barbarei der Baufluchtlinien über die Altstädte, un-
barmherzig und mit einem fanatischen Eifer legte
man Dome und Kirchen frei, rasierte alte Torbauten
und war sogar schon im
Begriff, vor den ehrwür-
digsten Bauten der Stadt
alle Pietät zu verlieren.
Endlich aber kam es doch
zu einer Umkehr, man be-
schäftigte sich eifrig mit
den Problemen des Re-
staurierens, des Verhaltens
bei Neubauten im Stadt-
kern, des »Begradigens«
im Stadtinnern, man er-
innerte sich des Wertes
der alten Denkmäler, es
werden Denkmalschutz-
gesetze angebahnt, ganze
alte Stadtkerne sollen in-
ventarisiert werden mit-
samt ihrem Grundriß (wie
in Hessen), die fortge-
schrittensten Städte haben
schon die Einrichtung
ständiger Kunstkommis-
sionen, ja es wird schon
die Axt an die Wurzel ge-
legt, die Baupolizeiver-
ordnungen sollen revidiert
werden. Aber dies ist
alles bekannt und betrifft
hauptsächlich die Innenstädte. Die Hauptsache aber
bleibt der Städtebau in den Außenteilen, der Neubau
der Stadt. Dieser ist so wichtig, daß alles Vorher-
gehende nur als eine prinzipielle Einleitung dazu ge-
nommen werden muß.
Es fand schon Erwähnung, daß die gesamte Städte-
bauweise des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem tiefsten
Verfall auf die Spätrenaissance zurückzuleiten ist. Die
großartige Beherrschung bedeutender Baumassen im
Sinn des absoluten Fürstentums, die souveräne Be-
wältigung großer Raumausschnitte, die Zusammen-
fassung von Baugruppen zu einer malerischen Gesamt-
wirkung nahm von da ihren Ausgang. Über Frank-
reich kam seit dem Ende des 17. und Anfang des
18. Jahrhunderts dieses Bauschaffen nach Deutschland.
Es ist die Entstehungszeit der großen Residenzen.
Die Fürsten, geistliche wie weltliche, verlegten ihre
Hofhaltung in eine geöffnete Stadt, wo sie in mög-
lichst ebener und freier Lage Raum hatten, sich de-
korativ zu entfalten. Niemals tasteten diese Fürsten
alte Stadtkerne an, setzten etwa ihr Schloß an den
Markt, das hätte sich schon durch hindernde Grund-
rechte verboten, außerdem hätte sich ihre merkanti-
listische Gesinnung gegen solch einschneidende Maß-
regeln gesträubt. Nein, sie wollten sich an den Rand
der Stadt setzen, wo sie sich frei ausdehnen, wo sie
ihr Schloß, ihren Hofgarten und die repräsentativen
Bauten ihres Hofgesindes zusammenkomponieren konn-
ten. An diesen Stellen fiel auch die Umwallung, der
Graben wurde ausgefüllt und auf diesem Terrain er-
hob sich nun das Fürstenquartier, das erste Beispiel
einer Planung und einer Stadtgründung, die dem be-