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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Biermann, Georg: Heinrich Vogeler
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0104

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HEINRICH VOGELER

WIE Wetterleuchten ging es in den achtziger und neunziger Jahren
des vergangenen Säkulums durch die deutschen Lande. In der
Geistesgeschichte unserer Heimat begann ein neues Kapitel.
Mächtig brandeten die Wellen einer neuen Weltanschauung unter dem
Zeichen des Herrenmenschen Nietzsche, der ein neues unerhörtes Evan-
gelium von »Jenseits von Gut und Böse« gepredigt hatte, an den Felsen-
riffen der geheiligten, altehrwürdigen Tradition. Ein neues Geschlecht
war erstanden. Seine Taten waren Zeichen ungebändigter Jugendkraft;
seine Worte und Werke flammten auf wie glühendes Feuer über der
zusammengebrochenen ehrwürdigen Säule des Alten. In der Literatur
wurde der Name Gerhart Hauptmann ein Markstein am Wege einer
anders gearteten Zukunft, wurden »Die Weber« mit ihrem wild revolu-
tionären Geiste ein Abendrot, das über einer zu Grabe gehenden Zeit
leuchtete. Wie die Gründung der »freien Bühne«, aus der später das
»Deutsche Theater« in Berlin hervorging, einen bedeutsamen Wende-
punkt in der Literaturgeschichte unserer Zeit kennzeichnet, so werden die
Namen eines Klinger und Liebermann ewige Wahrzeichen für die große
Wandlung bleiben, die sich in jenen Tagen auf dem Gebiete der bildenden
Kunst vollzog. Der Kulturhistoriker, dem es vorbehalten ist, die Ge-
schichte unserer Zeit zu schreiben, wird diese Tatsachen und Namen als
Meteore dem vielleicht inhaltschwersten Kapitel seines Buches voranzu-
setzen haben.

Auch der Name »Worpswede« bedeutet in gewissem Sinne für die
Geschichte der bildenden Kunst eine Umwertung aller Werte. Freilich
verkörpert sich in ihm weniger die Tat einer neuen, vom revolutionären
Geiste der Jugend durchwehten künstlerischen Erscheinung, als vielmehr
der letzte Widerhall einer gewaltigen, elementar entfesselten Bewegung,
die bereits in festere Bahnen zurückgeebbet ist, auf denen ein Neues, in
eigensinnige Tendenzen Gebanntes entsteht. Ein vom Abendsonnen-
schein friedlich überstrahltes Bild, aus dem die Vorzeichen einer nahen
Zukunft hervorleuchten. Gegenüber dem jähen Drang nach Universalis-
mus ein Aufsichselbstbesinnen, ein bescheidenes Rechten mit begrenzten
Kräften. Diese Kräfte suchen ihre Nahrung in der Scholle, aus der
mooriger Duft entsteigt, auf der Menschen wohnen, die mehr sind als
einfältige Bauern, wenn das Künstlerauge Mackensens in ihre Seele steigt.
Dies armselig scheinende Stück Landschaft, die Kanäle mit schwarzen
Wassern durchziehen, an denen die Baumstämme wie schweigende Geister
einer geheimnisvollen Natur aufragen, ist mehr, als es dem Auge des ge-
wöhnlichen Sterblichen erscheint, wenn es sich badet in Sonnenglanz und
Mondenschein, wenn Wolken, Wind und Wetter darüber hinfegen. Das
haben uns die Worpsweder gelehrt, die sich an die enge Scholle ketteten,
um das melodienreiche Loblied auf Mutter Allnatur zu singen, die mit
Bauern als Bauern verkehrten, um dem Menschengeschlecht ihr Gloria
darzubringen. Es waren Künstler, von denen ein jeder sein eigenes Auge

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