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HEINRICH VOGELER
DIELE IN BARKEN HOFF. WORPSWEDE
kein Künstler von Gottes Gnaden, wenn in all seine
weltferne Träumerei nicht hin und wieder auch der
Gedanke an Vergänglichkeit und Tod hineinleuchtete.
Aber der Tod hat das Grausen Holbeinscher Art ver-
lernt. Es ist der getreue Alte, der Erlösung bringt, der
das alte Mütterchen fortführt aus ihrem engen Häus-
chen, wo die Sorge täglich bei ihr zu Gaste war,
der dem müden Torfstecher auf seiner nächtlichen
Fahrt begegnet, um ihn von einem Leben voll Not
und Arbeit zu befreien. Wie eine Ahnung an Ver-
gehen tritt er auf jenem hier abgebildeten Exlibris
auf, wo zwei Liebende bei einander sitzen, der Tod im
Königsmantel hinter ihnen eine Rose bricht.
Man kann Vogelers Kunst erst richtig verstehen,
wenn man stets an das persönliche Moment denkt,
an Erlebnis und Empfindung dieses Dichters, die
seiner Nadel, seinem Pinsel die ihnen eigene Note
verleihen. Eine Interpretation seiner Kunstweise muß
immer eine Erklärung der Lebens- und Weltanschau-
ung dieses Künstlers sein. »Worpswede im Lichte
der Romantik«, »Das Eigenleben künstlerisch ver-
klärt«, das wären ungefähr die Überschriften, die man
einer Exegese seines malerischen und graphischen
Werkes voransetzen könnte. Darin aber steckt grade
der große Zug echten Künstlertums, der das einzelne
Erlebnis zum Erleben der Allgemeinheit ausgestaltet,
der über den persönlichen Reminiszenzen das Werk
ins Allgemein-Menschliche steigert. Die technische
Eigenart dieses Meisters erheischte ein Kapitel für sich,
wenn es nicht besser wäre, die Illustration als solche
reden zu lassen. Soviel leuchtet ein, Vogelers Wieder-
gabe der Natur ist nicht die Wirklichkeit, wie wir
sie um uns sehen, wie sie noch greifbar auf den
Bildern der übrigen Worpsweder Künstler vor uns
aufsteigt. Er stilisiert die
Natur, er gibt sie wieder
genau im Sinne der ihm
eigenen Romantik überhaupt.
Wie er seinem alten Bauern-
hause »Barkenhoff« durch
einige Ummodelungen im
Sinne des Empire einen ver-
witterten märchenhaften An-
strich zu geben wußte, eines
Schlosses en miniature etwa
aus der ausklingenden gra-
ziösen Zeit, wie es auf seinen
Bildern »Maimorgen« und
»Sommerabend «und auf zahl-
reichen graphischen Blättern
zu sehen ist, so hat er auch
die Natur im Sinne des rein
Ornamental-Dekorativen häu-
fig stilisiert. Bei ihm versagt
der würzige Hauch der Erd-
scholle, der den anderen
Worpsweder Werken ihren
größten Reiz verleiht, völlig.
Die ihm eigene Liniensprache,
die sich mit der Zeit immer
reicher, immer üppiger ent-
faltete, verlieh der Natur, dem Geäst der Bäume,
dem Wirrwarr der Sträucher, der landschaftlichen
Silhouette tausend Bereicherungen, die aber stets
einer streng logischen Naturbeobachtung entwuchsen.
Am deutlichsten offenbart sich dieses Streben nach
einer »organischen Ausfüllung des Raumes« auf
seinen Federzeichnungen und den damit nahe ver-
wandten Exlibris. Und wieder ist es auch hier der
reiche Born der Phantasie, dem alle Gestaltungen
erwachsen. Aber etwas verriet sich doch an diesem
Drang nach einer rhythmisch-linearen Art der Kom-
position so deutlich, daß es in unserer tausendfach
nach Ausdruck ringenden Zeit nicht hätte verborgen
bleiben können, das Talent zum reinen Kunstgewerbler.
Damit stoßen wir auf eine gänzlich neue Seite
künstlerischer Betätigung, eine Seite, die wie mir
scheinen will, gerade für die Zukunft unseres Meisters
bedeutungsvoll werden muß, der erst vor kurzem
nach mancherlei Ansätzen und Versuchen auf diesem
Gebiete eine starke Probe seines Talentes abgelegt
hat. Der romantische Jugendtraum von Frühling und
Liebe ist verflogen; die kommenden Jahre werden uns
den Vogeler der zweiten Schaffensperiode kennen
lehren.
HEINRICH VOGELER
DIELE IN BARKEN HOFF. WORPSWEDE
kein Künstler von Gottes Gnaden, wenn in all seine
weltferne Träumerei nicht hin und wieder auch der
Gedanke an Vergänglichkeit und Tod hineinleuchtete.
Aber der Tod hat das Grausen Holbeinscher Art ver-
lernt. Es ist der getreue Alte, der Erlösung bringt, der
das alte Mütterchen fortführt aus ihrem engen Häus-
chen, wo die Sorge täglich bei ihr zu Gaste war,
der dem müden Torfstecher auf seiner nächtlichen
Fahrt begegnet, um ihn von einem Leben voll Not
und Arbeit zu befreien. Wie eine Ahnung an Ver-
gehen tritt er auf jenem hier abgebildeten Exlibris
auf, wo zwei Liebende bei einander sitzen, der Tod im
Königsmantel hinter ihnen eine Rose bricht.
Man kann Vogelers Kunst erst richtig verstehen,
wenn man stets an das persönliche Moment denkt,
an Erlebnis und Empfindung dieses Dichters, die
seiner Nadel, seinem Pinsel die ihnen eigene Note
verleihen. Eine Interpretation seiner Kunstweise muß
immer eine Erklärung der Lebens- und Weltanschau-
ung dieses Künstlers sein. »Worpswede im Lichte
der Romantik«, »Das Eigenleben künstlerisch ver-
klärt«, das wären ungefähr die Überschriften, die man
einer Exegese seines malerischen und graphischen
Werkes voransetzen könnte. Darin aber steckt grade
der große Zug echten Künstlertums, der das einzelne
Erlebnis zum Erleben der Allgemeinheit ausgestaltet,
der über den persönlichen Reminiszenzen das Werk
ins Allgemein-Menschliche steigert. Die technische
Eigenart dieses Meisters erheischte ein Kapitel für sich,
wenn es nicht besser wäre, die Illustration als solche
reden zu lassen. Soviel leuchtet ein, Vogelers Wieder-
gabe der Natur ist nicht die Wirklichkeit, wie wir
sie um uns sehen, wie sie noch greifbar auf den
Bildern der übrigen Worpsweder Künstler vor uns
aufsteigt. Er stilisiert die
Natur, er gibt sie wieder
genau im Sinne der ihm
eigenen Romantik überhaupt.
Wie er seinem alten Bauern-
hause »Barkenhoff« durch
einige Ummodelungen im
Sinne des Empire einen ver-
witterten märchenhaften An-
strich zu geben wußte, eines
Schlosses en miniature etwa
aus der ausklingenden gra-
ziösen Zeit, wie es auf seinen
Bildern »Maimorgen« und
»Sommerabend «und auf zahl-
reichen graphischen Blättern
zu sehen ist, so hat er auch
die Natur im Sinne des rein
Ornamental-Dekorativen häu-
fig stilisiert. Bei ihm versagt
der würzige Hauch der Erd-
scholle, der den anderen
Worpsweder Werken ihren
größten Reiz verleiht, völlig.
Die ihm eigene Liniensprache,
die sich mit der Zeit immer
reicher, immer üppiger ent-
faltete, verlieh der Natur, dem Geäst der Bäume,
dem Wirrwarr der Sträucher, der landschaftlichen
Silhouette tausend Bereicherungen, die aber stets
einer streng logischen Naturbeobachtung entwuchsen.
Am deutlichsten offenbart sich dieses Streben nach
einer »organischen Ausfüllung des Raumes« auf
seinen Federzeichnungen und den damit nahe ver-
wandten Exlibris. Und wieder ist es auch hier der
reiche Born der Phantasie, dem alle Gestaltungen
erwachsen. Aber etwas verriet sich doch an diesem
Drang nach einer rhythmisch-linearen Art der Kom-
position so deutlich, daß es in unserer tausendfach
nach Ausdruck ringenden Zeit nicht hätte verborgen
bleiben können, das Talent zum reinen Kunstgewerbler.
Damit stoßen wir auf eine gänzlich neue Seite
künstlerischer Betätigung, eine Seite, die wie mir
scheinen will, gerade für die Zukunft unseres Meisters
bedeutungsvoll werden muß, der erst vor kurzem
nach mancherlei Ansätzen und Versuchen auf diesem
Gebiete eine starke Probe seines Talentes abgelegt
hat. Der romantische Jugendtraum von Frühling und
Liebe ist verflogen; die kommenden Jahre werden uns
den Vogeler der zweiten Schaffensperiode kennen
lehren.