HEINRICH VOGELER
93
ie so urgermanischanmutendeNord-
westecke unseres Vaterlandes scheint
ein Stück Erde voll starker künstle-
rischer Instinkte. Bremen und Ham-
burg — man darf es neidlos zuge-
stehen — haben seit etwa zehn
Jahren im künstlerischen Leben
unseres Volkes eine ähnliche Be-
deutung erlangt, wie sie ehedem etwa Düsseldorf und
München besaßen. Worpswede hat einen nicht geringen
Teil dazu beigetragen. Erst vor kurzem
kam die Nachricht, daß sich ein nord-
westdeutscher Künstlerverein gebildet hat
und der Großherzog von Oldenburg in
seiner entzückenden Sommerresidenz Ra-
stede eine neue Künstlerkolonie zu er-
richten beabsichtigt. Wir sehen, trotz
des Ringens der Zeit nach Universalismus
strebt die Kunst als solche nach einem
engen Anschluß an die Scholle. Wir
suchen nach den Jahren eines unerhörten
international angehauchten Kunstdusels
heute wieder nach dem eigenen nationalen
Idiom und beschränken uns nicht einmal
mit den weitgesetzten deutschen Reichs-
grenzen, sondern gehen über dieselben
zurück zu den engen Stammesverwandt-
schaften unserer germanischen Voreltern.
Dieses Symptom ist interessant genug,
um einmal eingehende Beleuchtung zu
erfahren. Nachdem der Deutsche Jahr-
zehntelang das Eigene verleugnet, fremd-
ländische Axiome in sich aufgenommen,
die hohe Schule von Paris goutiert hat,
fühlt er sich heute Manns genug, was
künstlerisches Schaffen angeht, auf die
Traditionen der Väter zurückzugreifen.
Biedermeier lag ihm zunächst. Unsere
Zeit ist so wenig biedermeierisch als es
nur je eine Zeit gewesen ist und das
richtet eigentlich von selbst die ganze
Bewegung. In Bremen hat sich im
vorigen Frühjahr ein Verein für Pflege
niedersächsischen Volkstums gegründet,
dessen vornehmste Bestrebungen auf Er-
haltung der alten Bauernkunst und -Art
gegründet sind. Diese Tatsachen wür-
den an sich vielleicht weniger zu be-
deuten haben, erscheinen aber in bezug
auf die Bestrebungen im Kunstgewerbe
unseres Künstlers beachtenswert. Vogelers
erste Arbeiten nach der kunstgewerblichen
Seite hin galten der Ausstattung des Bu-
ches. Im Inselverlage und bei Eugen Die-
derichs in Jena hat er vornehmlich sein
Talent betätigt. Neben den schon früher
erwähnten Exlibris, die ja auch in diesem
Zusammenhang notiert werden müssen
und vor allem als Beweise seiner rein de-
korativen Veranlagung, seiner exquisiten
Linienkunst Beachtung verdienen, hat er
Kunstgewerbeblatt. N. F. XVII. H. 5.
durch Ausschmückung zahlreicher Bücher seinen er-
lesenen Geschmack bewiesen. Für die Gießerei von
Rudhard in Offenbach a. Main hat er ein ganzes Kom-
pendium von Initialen, Randleisten, Schlußstücken,
Schriftsätzen verfertigt, die als das Köstlichste unter
den Leistungen unserer modernen Buchgewerbler
dastehen. Proben dieses Zierates haben wir diesen
Kolumnen eingefügt. Wollte man die Bezeichnung
einer Stilart auf dieselben anwenden, man müßte an das
Empire erinnern; und doch stecken trotz dieser rein
GÜLDENKAMMER IM RATHAUS ZU BREMEN
HAUPTTÜR AUS POLIERTEM NUSSBAUM MIT INTARSIEN
93
ie so urgermanischanmutendeNord-
westecke unseres Vaterlandes scheint
ein Stück Erde voll starker künstle-
rischer Instinkte. Bremen und Ham-
burg — man darf es neidlos zuge-
stehen — haben seit etwa zehn
Jahren im künstlerischen Leben
unseres Volkes eine ähnliche Be-
deutung erlangt, wie sie ehedem etwa Düsseldorf und
München besaßen. Worpswede hat einen nicht geringen
Teil dazu beigetragen. Erst vor kurzem
kam die Nachricht, daß sich ein nord-
westdeutscher Künstlerverein gebildet hat
und der Großherzog von Oldenburg in
seiner entzückenden Sommerresidenz Ra-
stede eine neue Künstlerkolonie zu er-
richten beabsichtigt. Wir sehen, trotz
des Ringens der Zeit nach Universalismus
strebt die Kunst als solche nach einem
engen Anschluß an die Scholle. Wir
suchen nach den Jahren eines unerhörten
international angehauchten Kunstdusels
heute wieder nach dem eigenen nationalen
Idiom und beschränken uns nicht einmal
mit den weitgesetzten deutschen Reichs-
grenzen, sondern gehen über dieselben
zurück zu den engen Stammesverwandt-
schaften unserer germanischen Voreltern.
Dieses Symptom ist interessant genug,
um einmal eingehende Beleuchtung zu
erfahren. Nachdem der Deutsche Jahr-
zehntelang das Eigene verleugnet, fremd-
ländische Axiome in sich aufgenommen,
die hohe Schule von Paris goutiert hat,
fühlt er sich heute Manns genug, was
künstlerisches Schaffen angeht, auf die
Traditionen der Väter zurückzugreifen.
Biedermeier lag ihm zunächst. Unsere
Zeit ist so wenig biedermeierisch als es
nur je eine Zeit gewesen ist und das
richtet eigentlich von selbst die ganze
Bewegung. In Bremen hat sich im
vorigen Frühjahr ein Verein für Pflege
niedersächsischen Volkstums gegründet,
dessen vornehmste Bestrebungen auf Er-
haltung der alten Bauernkunst und -Art
gegründet sind. Diese Tatsachen wür-
den an sich vielleicht weniger zu be-
deuten haben, erscheinen aber in bezug
auf die Bestrebungen im Kunstgewerbe
unseres Künstlers beachtenswert. Vogelers
erste Arbeiten nach der kunstgewerblichen
Seite hin galten der Ausstattung des Bu-
ches. Im Inselverlage und bei Eugen Die-
derichs in Jena hat er vornehmlich sein
Talent betätigt. Neben den schon früher
erwähnten Exlibris, die ja auch in diesem
Zusammenhang notiert werden müssen
und vor allem als Beweise seiner rein de-
korativen Veranlagung, seiner exquisiten
Linienkunst Beachtung verdienen, hat er
Kunstgewerbeblatt. N. F. XVII. H. 5.
durch Ausschmückung zahlreicher Bücher seinen er-
lesenen Geschmack bewiesen. Für die Gießerei von
Rudhard in Offenbach a. Main hat er ein ganzes Kom-
pendium von Initialen, Randleisten, Schlußstücken,
Schriftsätzen verfertigt, die als das Köstlichste unter
den Leistungen unserer modernen Buchgewerbler
dastehen. Proben dieses Zierates haben wir diesen
Kolumnen eingefügt. Wollte man die Bezeichnung
einer Stilart auf dieselben anwenden, man müßte an das
Empire erinnern; und doch stecken trotz dieser rein
GÜLDENKAMMER IM RATHAUS ZU BREMEN
HAUPTTÜR AUS POLIERTEM NUSSBAUM MIT INTARSIEN