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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Baer, J.: Zwei Leipziger Wettbewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0186

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ZWEI LEIPZIGER WETTBEWERBE

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PORZELLANSERVICE VON HERTWIG-MOHRENBACH, AUSGEFÜHRT .VON ZEH, SCHERZER & CO.,

FARBEN: RUBINROT-TANNENGRÜN

REHAU, BAYERN

baugesetzlichen Bestimmungen und die manchmal zu weit
gehenden Forderungen der Hygiene schuld tragen, so sind
doch auch die Bebauungspläne des 19. Jahrhunderts mit
ihrer schematischen Festsetzung der Baublöcke, Baufluchten
und Parzellen nicht ohne wesentlichen Einfluß geblieben.
Es wäre daher wünschenswert gewesen, wenn man in dem
vorliegenden Falle den Versuch gemacht hätte, durch einen
vom Architekten nach künstlerischen Grundsätzen ent-
worfenen und größere Freiheit gewährenden Bebauungs-
plan auch eine bessere Gestaltung der Mietwohnungs-
grundrisse zu erzielen.

Was nun die Fassadenbildung anlangt, so ist im Pro-
gramm gesagt: Eine bestimmte Stilrichtung wird nicht
vorgeschrieben, doch wird den Bewerbern anheimgegeben,
das Äußere der Gebäude nach Möglichkeit in Anlehnung
an die Formensprache der Leipziger Bauten aus dem Be-
ginn des 18. Jahrhunderts zu gestalten.; Ein direkter Zwang
ist also nicht ausgeübt worden, der Wunsch ist aber fast
allen Preisbewerbern Befehl gewesen. Auch läßt sich aus
dem Urteil der Preisrichter ersehen, daß sie bei ihrer Ent-
scheidung auf die Erfüllung dieser Bedingung großen Wert
gelegt haben. Das ist in mehrfacher Hinsicht bedauerlich.
Es ist in dieser Abhandlung schon einmal von unange-
brachtem Archaismus die Rede gewesen; das dort Gesagte
kann mutatis mutandis auch hier gelten. Es soll aber noch
Folgendes bemerkt werden. Wir haben zurzeit noch keinen
einheitlichen und allgemein anerkannten neuen Stil, wir
können aber bei einer Reihe von Architekten einen persön-
lichen Stil beobachten, der viel Neues und Eigenartiges
enthält und auf bisher unbekannte Möglichkeiten hinweist.
Man darf nun wohl annehmen, daß der Weg zu dem so
heißersehnten neuen allgemeinen Stil nur über den persön-
lichen Stil führen kann, indem besonders starke und bahn-
brechende Geister eine Beeinflussung des Geschmacks in
einer gewissen Richtung erzwingen, wie wir es z. B. bei
dem Wiener Otto Wagner gesehen haben. Die Entwicke-
lung des Persönlichen, das Ausreifen von Naturen, die neue
Wege finden, muß uns daher ganz besonders am Herzen
liegen. Hiermit ist es aber unvereinbar, wenn durch eine
Bestimmung wie die erwähnte das Schaffen der Architekten
in eine bestimmte archaistische Stilrichtung gedrängt werden
soll. Es ist ja heutzutage Mode, daß ein Architekt in allen
Stilarten zu Hause ist, als ein erfreulicher Zustand kann
das aber nach den vorstehenden Erwägungen nicht betrachtet
werden, wenn es auch für das Geschäft von Vorteil sein
mag. Wer wie ein Chamäleon in allen Farben schillert,
wird kaum in einer Farbe tonangebend sein können. Wir
sehen ja auch bei einer ganzen Anzahl von Entwürfen,
wie die Verfasser sich krampfhaft bemüht haben, den auf

das Leipziger Barock gestimmten Lokalton zu treffen.
Was ist dabei herausgekommen: ein paar hübsche Einzel-
heiten und viel Langeweile. Nun sind ja gewiß auch einige
recht gute Sachen dabei und verdient vor allem das mit
dem ersten Preis gekrönte hier abgebildete Projekt in archi-
tektonischer Beziehung alles Lob. Die vornehme Ruhe und
schlichte Schönheit der Fassaden berührt außerordentlich
wohltuend, wenn wir sie mit den unruhigen und über-
ladenen Architekturen vergleichen, die an den meisten der
in letzter Zeit im Innern der Stadt entstandenen Neubauten
zu sehen sind. Man kann sich aber einer lebhaften Be-
fürchtung nicht erwehren, daß bei der Ausführung auch der
besten Projekte Enttäuschungen entstehen werden. Es ist
nämlich zu berücksichtigen, daß nach den Angaben des
Programms dem Käufer eines Bauplatzes zwar der Vor-
entwurf als Unterlage für den endgültigen Bauplan vor-
gelegt werden soll, daß sich der Rat auch die Beurteilung
und Genehmigung der zur Ausführung bestimmten Fassaden
vorbehält, daß aber kein Bauherr verpflichtet ist, den Ver-
fasser des Vorentwurfs mit der Anfertigung der Baupläne
oder der Bauleitung zu beauftragen oder überhaupt einen
anerkannten Architekten zur Ausführung zuzuziehen. Nach
den Erfahrungen, die anderwärts in ähnlichen Fällen ge-
macht worden sind, kann man annehmen, daß auch hier
die befähigte Architektenschaft ausgeschaltet wird. Wenn
aber minderwertige Kräfte oder Bauunternehmer, die vor-
nehmlich in Frage kommen werden, am Werke sind, dann
kann man für die Ausführung auch der schönsten Projekte
nur das Schlimmste befürchten.

Soll also die der Ausschreibung des Wettbewerbs zu
gründe liegende Absicht wirklich ein erfreuliches Ergebnis
zeitigen, so ist neben einer Umgestaltung des Bebauungs-
planes vor allem nötig, auch an die endgültigen Baupläne
sehr hohe künstlerische Anforderungen zu stellen und für
die Ausführung derselben sehr strenge Vorschriften zu
machen, womöglich für dieselbe die Beteiligung eines der
Preisträger vorzuschreiben, zum mindesten aber eines Archi-
tekten, der bereits nennenswerte künstlerische Leistungen
aufweisen kann.

Wenn infolge einer solchen Bestimmung natürlich der
Verkauf der Plätze sich schwieriger gestaltet und auch der
Erlös vermutlich geringer sein wird, so dürfte das gebrachte
Opfer sich reichlich lohnen, nicht nur durch die auf diese
Weise erzielte wertvolle künstlerische Bereicherung des
Stadtbildes und die hierdurch erzeugten ästhetischen Werte,
sondern auch in ideeller Beziehung durch Schaffung eines
mustergiltigen Verfahrens, welches vorbildlich und frucht-
bringend wirken kann. /. Baer.

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVII. H. 8

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