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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Schumann, Paul: Die dritte deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden 1906, [2]: die Raumkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0215

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i86

DIE DRITTE DEUTSCHE KUNSTGEWERBEAUSSTELLUNG DRESDEN 1906

bekenntnis aufgenommen: die Schönheit des echten
Materials und die Schönheit der soliden Arbeit. Es
kann natürlich nicht schlechthin gesagt werden, daß
in den alten Stilen durchweg unsolid gearbeitet wor-
den wäre. Sind doch oft geradezu Musterstücke
solider Arbeit geliefert worden. Aber es ist kein
Zweifel: den jetzt überwundenen Stilen klebt der
Makel des billig und schlecht an, der unserer Industrie
seit den siebziger Jahren so sehr geschadet hat. Durch
nichts ist unsolide Arbeit leichter zu bemänteln als
durch eine Fülle unorganischer Ornamentik und ge-
steigerten Formenreizes. Der schöne Schein täuscht
über ungenau geschnittene Stoßfugen und liederliche
Verzahnung hinweg, der Aufputz verdeckt das minder-
wertige Material. So haben wir während der Herr-
schaft der historischen Stile die Schleuderware der
Abzahlungsbazare und der (angeblich) billigen Maga-
zine gesehen und erlebt, wie die Ansprüche des
Käufers, der Charakter des Arbeiters herabgedrückt
wurden. Für den neuen Stil haben die führenden
Künstler von vornherein den Grundsatz aufgestellt:
nur die solideste Arbeit ist zulässig. Und auch das
kann nicht anders sein, denn der neue Stil bietet
nichts, wodurch unsaubere, unsolide Arbeit verdeckt
werden könnte. Der hohle Schein ist ausgeschlossen.
Solide Arbeit aber hebt die Selbstachtung, die Ge-
wissenhaftigkeit und das Pflichtbewußtsein des Ar-
beiters, und sie verbürgt uns dauernden Besitz und
steigert unsere Freude daran, wie alles was vertrauens-
würdig und zuverlässig ist. Solide Arbeit ist ein Stück
vornehmer Gesinnung, eine Quelle der Freude und Kraft.
Echtes Material aber hat zugleich ethischen und
künstlerischen Wert. Echtes Material ist jeder Stoff,
der sich als das zeigt, was er ist, und nichts anderes
sein will. Auch Tannenholz und Blech gehören dazu,
wenn sie nicht so behandelt werden, daß jenes z. B.
wie Ebenholz, dieses wie Stein aussieht. Die ver-
flossene Periode hat bekanntlich in solchen Imitationen
arg gesündigt. Wir haben in dieser Hinsicht feiner
empfinden gelernt, denn wenn auch die angenagelten
Blechgesimse mit Steinformen und andere krasse Un-
wahrheiten noch nicht völlig verschwunden sind, so
ist doch die Entrüstung über solche Fälschungen jetzt
in viel weitere Kreise gedrungen, und das ästhetische
Gewissen regt sich kräftiger und wirksamer. Man
sah ehedem nicht, »daß der wohlfeile Stoff oder der
Anstrich die Erscheinung des edleren Stoffes, den er
vortäuschen wollte, gar nicht erreichen kann«. Man
übersah den höheren Wert des edleren Materials, weil
man für die gröberen Reize gehäufter Ornamentik
allzu empfänglich war. Worin aber besteht der Reiz
des edlen Materials? Im höheren Tauschwert, in der
erhöhten Fähigkeit, die Idealform anzunehmen, z. B.
eine Ebene oder eine Kante zu bilden. (Man ver-
gleiche eine Ebene in gebranntem Ton mit einer
solchen in Marmor, einer Kante in Gußeisen mit
einer solchen in Ebenholz: je feiner das Korn einer
Steinart, je dichter und gleichmäßiger das Gefüge
einer Holzart, desto »mehr gelingt es, die Ebene zur
wahren Ebene, die Kante zur wahren geraden Linie
zu machen«, desto edler erscheint uns auch das Ma-

terial.) Ferner besteht der Wert edlen Materials
im Glanz, in der Farbe, in der Zeichnung (z. B. der
Maserung des Holzes, den Streifen und Linien der
Edelsteine), im Gegensatz zwischen hellen und dun-
keln Flächen, im Durchscheinen und Funkeln. Man
überzeugt sich leicht, daß jede dieser Eigenschaften
allein genommen nicht den Eindruck der Schönheit
ausmacht; aber je mehr von allen diesen Eigenschaften
zu einheitlicher das heißt gleichzeitiger Wirkung zu-
sammentreten, um so stärker ist der Eindruck von
Schönheit. Je edler aber das Material, desto mehr
finden wir von diesen gleichzeitigen Vorstellungen
und Einzelerscheinungen vereinigt, desto höher steigert
sich auch unsere Geistestätigkeit beim einheitlichen
Erfassen und damit unser Wohlgefallen (nach A. Göller).
Es leuchtet darnach ein, daß die Betonung der
Echtheit im Material leicht zur Wahl eines edlen Ma-
terials führt. Darum findet man in der Dresdener
Ausstellung viel kostbares Material verarbeitet: Mar-
mor und farbige Hölzer, Einlagen in Metall, Elfen-
bein, Perlmutter und verschiedenes andere. Unedle
Surrogate und Imitationen sind ausgeschlossen. An-
dererseits aber findet man, daß bei gar vielen Hölzern
die natürlichen Eigenschaften gesteigert erscheinen,
daß man ihnen durch Beizen oder das solidere Gerben
kräftigere Farbenwirkungen verliehen und durch neue
Verfahren der Bearbeitung neue Reize gegeben hat.
Dadurch sind auch Hölzer zu Ehren gekommen, die
man früher vernachlässigte, z. B. Ulmen-, Birnbaum-
und Birkenholz. So kommt die Schätzung der Ma-
terialechtheit der heimischen Holzerzeugung zugute.
Eine Statistik der Ausstellung ergibt, daß von den
verarbeiteten Hölzern neunzig vom Hundert auf ein-
heimische, zehn vom Hundert auf ausländische Holz-
arten entfallen. Liegt etwas Protziges darin, daß man
ein Material seines höheren Preises wegen wählt, so
liegt in der Veredelung eines Materials durch die
Technik ein künstlerischer Zug und in der Ehrlich-
keit, mit der sich jedes Material nur als das gibt was
es ist, liegt ein hoher ethischer Vorzug. Wie die
Arbeiter in den amerikanischen Fleischkonservenfabriken
jeden moralischen Halt verlieren, so steigt anderer-
seits durch solide Arbeit und Materialechtheit die
moralische Kraft des Arbeiters und nicht minder die
des Besitzers derartiger Erzeugnisse. Weiß man diese
Eigenschaften moderner kunstgewerblicher Arbeit zu
schätzen, so wird man auch da noch Vorzüge finden,
wo die Formengebung das künstlerische Feingefühl,
das Stilempfinden nicht völlig befriedigt. Daß dies
vorkommt, ist doppelt begreiflich in einer Zeit, wo
man gewohnt ist, die persönliche Note im Kunstwerk
zu schätzen und zu suchen. Sachstil aber und Gel-
tendmachen der künstlerischen Persönlichkeit sind in
gewissem Sinne Gegensätze. Zu starke Betonung der
persönlichen Note führt in der Raumkunst leicht zu
Übertreibungen; die feinste künstlerische Kultur äußert
sich vielmehr im Maßhalten, in der Beschränkung.
Am höchsten werden wir also diejenigen Künstler
einschätzen, die zugleich schöpferisch selbständig auf-
treten und dabei innerhalb der Grenzen des Sachstils
und künstlerischen Feinempfindens bleiben.
 
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