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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0028
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DIE PYRAMIDEN

Form war das Wunder. Sie schied das Feste von dem
Flimmer und den Menschen vom Affen, gab dem Ungreif-
baren Gefäß, gewann aus verwirrender Natur die Einheit
des Symbols.

Die Form ist mächtiger als die Natur. Was wäre die
Wüste ohne Pyramiden! Die Wüste spielt mit uns, löst
uns auf, macht uns selbst zu tanzenden Sonnenflecken.
Leuchttürmen gleich ragen die Pyramiden über das Sand-
meer. Hier ist der Hafen.

Von nahem wirken sie erst recht, selbst hier, wo wir
mit der Nase davor stehen. Die Belege mechanistischer
Konstruktion, die schließlich nur aus unserer Küche stam-
men, verschwinden in die Ritzen, und der Eindruck ist
heute nur noch mächtiger als am ersten Tage, nachdem
er den Schreck der Überraschung eingebüßt und sich in
dem gefälligen Humus unserer Empfindung häuslich nie-
dergelassen hat.

Anfangs versuchte ich eine kümmerliche Erklärung mit
dem Material der Pyramiden, bildete mir ein, die Zusam-
mensetzung der Flächen aus meterhohen, behauenen
Quadern, die heute, nachdem der Plattenbelag längst ge-
stohlen wurde, bloßliegen, füge etwas hinzu; nahm die
Pyramiden für ein modernes, aus Flecken gemachtes Bild
und die Quadern für Farbentupfen. Jeder wie er kann,
und es wäre ja nicht das erstemal, daß Verstümmelung
eine Form verbessert hätte. Nur kommen wir mit dieser
Torso-Ästhetik nicht weiter. Verstümmelung kann immer
nur überflüssige Details streichen, und wo wäre bei einer
mathematischen Form Überflüssiges denkbar? Die Präzi-
sion gehört dazu. Je mathematischer um so besser. Unser
malerisches Gängelband war den Äg}^ptern so fremd wie
das Grammophon. Der glatte unpersönliche Belag schloß
schummrigen Naturalismus aus und erlaubte die Schwär-
merei am wechselreichen Spiel des Lichts auf spiegelnden
Flächen nur innerhalb scharfer Grenzen. Wohl stellt

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