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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0032
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DIE PYRAMIDEN

Natürlich wählten sie ebensowenig, wie irgendein Mensch
seinen Ausdruck zu wählen vermag. Sie erfanden die Py-
ramide in dem Augenblick, als ihr Begriff von Würde,
Würde des Königs, Würde des Volkes, Würde überhaupt,
das Maximum erreicht hatte. Diese Menschen müssen in
allen Dingen göttliches Maß besessen haben. Während
sich das Gesicht andrer Völker in Wut und Angst ver-
zerrte, lächelte das ihre. Ihre Lebensart muß vorbildlich
gewesen sein.

Vollends blöd ist das Mitleid mit den hunderttausend
Sklaven. Als ob die Arbeit an den Pyramiden für weniger
menschenwürdig zu gelten hätte als die Hantierung des
modernen Freigelassenen an seiner Lochmaschine mitdrei-
unddreißigmal demselben Handgriff in der Minute! In kei-
nem Versailles schmälert den Genuß an der Fassade die
Einsicht in die Geistesart der Unternehmer. Nicht einmal
in Versailles! Wahrscheinlich rissen sich die sogenannten
Sklaven um die Pyramide und gingen singend an ihr Tage-
werk. Jeder trug seinen Stein zum Heiligtum herbei, und
die Ehre, Hoflieferant des Gottes zu sein, erleichterte die
Bürde. Was ein Tropf von heule Sklaverei nennt, war für
sie beglückende Gemeinschaft. Es gibt keinen Unterschied
zwischen ihnen und den Steinmetzen der Gotik. Keinen
subjektiven, womöglich keinen objektiven.

Ist das so, oder bilde ich es mir ein? Es wäre gut, etwas
von dem Vorausgegangenen zu wissen, denn die Beweis-
führung stößt auf Hindernisse. Wenn Babuschka alles ne-
ben der Pyramide für nichtig erklärt, spricht in ihr doch
nur der verfluchte Kubismus, der Bückzug vor einem
komplizierten Europa, das sie nicht erlebt hat, die Freude
am Anfang, an der neuen reinen Seite. Sie ist jung, alles
in Ordnung. Ich aber komme vom andern Ende. Geht es
mir vom anderen Ende etwa gerade so? Wirken die Pyra-
miden nur als aktuelles Reizmittel, das im psychologischen
Moment, nach Erschöpfung unserer Kunst bis zur Nagel-

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