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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0041
DER SPHINX
Wir haben keine Wüste, die unser Auge zu weiten ver-
mochte. Taine würde alles mögliche von der Geographie
erzählen und ein anderer aus denselben Argumenten das
Gegenteil folgern. Die Wüste ist eine weitläufige Ange-
legenheit. Wenn es tatsächlich infolge der Wüste keine
Diskussion zwischen Sphinx und Michelangelo gäbe, läge
also Ägypten draußen. Gestern noch habe ich es steif und
fest behauptet, und nachher werde ich es wieder behaup-
ten. Man kann es nie genug behaupten, aber es stimmt
nicht. Natürlich gäbe es viele Gründe, warum Michel-
angelo den Moses und die Ägypter den Sphinx geschaffen
haben, und die Wüste gehört dazu. Das geht uns so wenig
an wie die Funktion der Haut, die unsere Nieren entlastet
und uns nicht abhält, eine Teufelei zu begehen oder
Heldentaten zu verrichten. Denn wäre Ägypten wirklich
draußen, so würden wir den Sphinx für ein ethnographi-
sches Monstrum nehmen, und es fiele uns nicht ein, ihn als
geformten Ausdruck vollendeter Würde zu empfinden, einer
Würde, die durchaus der Steigerung unserer Vorstellungen
entspricht, die ein Gefäß ausfüllt, das sich bereits vor
Ägypten gebildet hatte und leer war. Das ist es, diese mit-
gebrachte Leere, diese geheime Unzufriedenheit und Sehn-
sucht, die plötzlich gestillt wird. Als ob man das alles,
so neu es ist, längst geahnt hätte, ohne zu wissen, wo es
sich befand.
Die Sonne sinkt. Wir klettern auf unsern Hügel hinter
dem Torbau des Chefren. Zur Rechten färbt sich der un-
berührte Felsen, der ein Sphinx hätte werden können.
In der Ebene blinkt das Wasser des überschwemmten
Fruchtlands. Die Wüste weitet den Blick. Drüben auf der
anderen Seite des Nils illuminiert sich der lange Höhen-
zug des Mokattam. Der Mokattam ist das Gebirge, aus
dem sie den Kalkstein für die Pyramiden brachen.
— „Das rosa Haus!“ — sagt Babuschka.
In dem Beduinendorf am Abhang des Plateaus der Pyra-
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Wir haben keine Wüste, die unser Auge zu weiten ver-
mochte. Taine würde alles mögliche von der Geographie
erzählen und ein anderer aus denselben Argumenten das
Gegenteil folgern. Die Wüste ist eine weitläufige Ange-
legenheit. Wenn es tatsächlich infolge der Wüste keine
Diskussion zwischen Sphinx und Michelangelo gäbe, läge
also Ägypten draußen. Gestern noch habe ich es steif und
fest behauptet, und nachher werde ich es wieder behaup-
ten. Man kann es nie genug behaupten, aber es stimmt
nicht. Natürlich gäbe es viele Gründe, warum Michel-
angelo den Moses und die Ägypter den Sphinx geschaffen
haben, und die Wüste gehört dazu. Das geht uns so wenig
an wie die Funktion der Haut, die unsere Nieren entlastet
und uns nicht abhält, eine Teufelei zu begehen oder
Heldentaten zu verrichten. Denn wäre Ägypten wirklich
draußen, so würden wir den Sphinx für ein ethnographi-
sches Monstrum nehmen, und es fiele uns nicht ein, ihn als
geformten Ausdruck vollendeter Würde zu empfinden, einer
Würde, die durchaus der Steigerung unserer Vorstellungen
entspricht, die ein Gefäß ausfüllt, das sich bereits vor
Ägypten gebildet hatte und leer war. Das ist es, diese mit-
gebrachte Leere, diese geheime Unzufriedenheit und Sehn-
sucht, die plötzlich gestillt wird. Als ob man das alles,
so neu es ist, längst geahnt hätte, ohne zu wissen, wo es
sich befand.
Die Sonne sinkt. Wir klettern auf unsern Hügel hinter
dem Torbau des Chefren. Zur Rechten färbt sich der un-
berührte Felsen, der ein Sphinx hätte werden können.
In der Ebene blinkt das Wasser des überschwemmten
Fruchtlands. Die Wüste weitet den Blick. Drüben auf der
anderen Seite des Nils illuminiert sich der lange Höhen-
zug des Mokattam. Der Mokattam ist das Gebirge, aus
dem sie den Kalkstein für die Pyramiden brachen.
— „Das rosa Haus!“ — sagt Babuschka.
In dem Beduinendorf am Abhang des Plateaus der Pyra-
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