KONVENTION
immer einsamen Persönlichkeiten wiederzufinden hoffte.
Zu dem Wert gehörte Epoche und Milieu, die Gemein-
schaft vieler Menschen in einem von ihrer Art geformten,
Urbis. Da geschah es, daß mir ganz unwillkürlich die ur-
banste Gemeinde, die Europa hervorgebracht hat, einfiel,
Paris. Ach, nicht die Pariser Messieurs. Sie hatten nichts
von der Offenheit des Blicks noch von der ungebrochenen
Jugend der fünften Dynastie. Auch nicht Pariser Frauen,
obwohl sich in meiner Erinnerung schon viel eher die
Möglichkeit eines Vergleichs mit dem schlanken Persön-
chen darbot. Nichts Persönliches gab mir recht. Aber was
hätte man je von den Personen in Paris gehabt? Meist
Ärger, Enttäuschung, Degout. Warum liebte man trotzdem
die Stadt und lebte dort Jahrzehnte und fühlte sich zu
Hause? Doch nicht dem Äußeren oder Inneren des Louvre
zuliebe, doch nicht allein wegen irgendeiner Baulichkeit
oder weil die Gärten, Plätze und Straßen reizvoller als
anderswo und die Bilder zahlreicher waren. Alles Schöne,
das man photographieren konnte, kam nur hinzu. Viel-
mehr weil sich zwischen diesen Gärten, Plätzen und Stra-
ßen und zwischen den Menschen dieser Gärten, Plätze
und Straßen besser als irgendwo leben ließ, weil hier die
Möglichkeit eines reibungslosen und doch erhöhten Ver-
kehrs gegeben war, etwas, wäre es auch nur ein Hauch,
von der Atmosphäre um unsere Familie; etwas von Kon-
vention, nicht von der des zweiten Kaiserreichs noch von
der des ersten, nichts von Louis Seize noch von Louis
Quinze, aber von allem ein wenig. Es zittert wie Staub
in der Sonne, ist überall und nirgends und steckt schließ-
lich doch noch merkbar in den Menschen, meinetwegen
nur in ihren alleräußerlichsten Formen. Man findet es in
einer Konvenienz, die noch gestern einen Corot malen
ließ, diesen sachlichsten und gefälligsten von allen. Der
ist dem geheimen Inhalt unserer Familie zuweilen sehr
nahe gekommen.
77
immer einsamen Persönlichkeiten wiederzufinden hoffte.
Zu dem Wert gehörte Epoche und Milieu, die Gemein-
schaft vieler Menschen in einem von ihrer Art geformten,
Urbis. Da geschah es, daß mir ganz unwillkürlich die ur-
banste Gemeinde, die Europa hervorgebracht hat, einfiel,
Paris. Ach, nicht die Pariser Messieurs. Sie hatten nichts
von der Offenheit des Blicks noch von der ungebrochenen
Jugend der fünften Dynastie. Auch nicht Pariser Frauen,
obwohl sich in meiner Erinnerung schon viel eher die
Möglichkeit eines Vergleichs mit dem schlanken Persön-
chen darbot. Nichts Persönliches gab mir recht. Aber was
hätte man je von den Personen in Paris gehabt? Meist
Ärger, Enttäuschung, Degout. Warum liebte man trotzdem
die Stadt und lebte dort Jahrzehnte und fühlte sich zu
Hause? Doch nicht dem Äußeren oder Inneren des Louvre
zuliebe, doch nicht allein wegen irgendeiner Baulichkeit
oder weil die Gärten, Plätze und Straßen reizvoller als
anderswo und die Bilder zahlreicher waren. Alles Schöne,
das man photographieren konnte, kam nur hinzu. Viel-
mehr weil sich zwischen diesen Gärten, Plätzen und Stra-
ßen und zwischen den Menschen dieser Gärten, Plätze
und Straßen besser als irgendwo leben ließ, weil hier die
Möglichkeit eines reibungslosen und doch erhöhten Ver-
kehrs gegeben war, etwas, wäre es auch nur ein Hauch,
von der Atmosphäre um unsere Familie; etwas von Kon-
vention, nicht von der des zweiten Kaiserreichs noch von
der des ersten, nichts von Louis Seize noch von Louis
Quinze, aber von allem ein wenig. Es zittert wie Staub
in der Sonne, ist überall und nirgends und steckt schließ-
lich doch noch merkbar in den Menschen, meinetwegen
nur in ihren alleräußerlichsten Formen. Man findet es in
einer Konvenienz, die noch gestern einen Corot malen
ließ, diesen sachlichsten und gefälligsten von allen. Der
ist dem geheimen Inhalt unserer Familie zuweilen sehr
nahe gekommen.
77