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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0100
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EINE DRITTE FAMILIE

Das Braun hebt sich unerträglich hart von dem knalli-
gen Weiß des Sitzes ab. Wohl möglich, daß die Gestalt,
in der gewohnten Bemalung der Frühwerke gehalten, an-
ders wirken würde, doch vermögen wir diese Entkleidung
nicht vorzunehmen. Der Mann ist genau so nackt wie an-
dere Männer, trägt den Schurz, sitzt ungefähr in der üb-
lichen Haltung da. Ja, er scheint in der üblichen Art mo-
delliert. Wenigstens könnte man schwerlich inEinzelheiten
eine Übermodellierung, auf deren Konto der fatale Aus-
druck zu setzen wäre, nachweisen. Trotzdem hat er so
gut wie nichts von der Art der anderen Mannesfiguren.
Man möchte seine Welt eine andere nennen. Dasselbe gilt
von der Frau, der merkwürdigsten Frauengestalt des Mu-
seums, dabei wieder in der Haltung annähernd überein-
stimmend mit der Regel. Sie wirkt wie eine Dame von
heute. Wenn wir bei unserer Familiengruppe zuweilen
an Corot denken, vollziehen wir eine Übertragung und
wägen verwandte Gefühlswelten ab, wobei uns nie ein-
fällt, mit Wörtlichkeit zu rechnen. Bei dieser Frau kommt
uns nicht die Lyrik französischer Maler in den Sinn, die
der Sachlichkeit Schwingen zu geben vermochte, sondern
ein lebendes Bild der Gegenwart. Wir haben das Modell
gestern im Tanzsaal des Hotel Shepheard’s getroffen, die
Frau des bekannten Bankiers X aus Paris. Auch Mrs. Cool-
man hat viel von ihr, auch Frau Behn. Sie ist das, was
man allenfalls Dame, nie Frau nennen könnte, hat die
überweltliche Kaltschnäuzigkeit dieser kosmopolitischen
Wesen, die einen Stil und sonst nichts besitzen. Im Stil
sind alle kostspieligen Scherze des Luxus eingeschlossen,
selbst ein Witz, den man nur nach vielen Erfahrungen
der verschiedensten Art erlangt. Ich glaube, sie ist gut
modelliert. Man spürt den nicht formlosen Körper unter
der Robe. Insofern unterscheidet sie sich von Mrs. Cool-
man. Übrigens hat sie mehr von dem orientalischen Genre
der Frau Behn und weiß, was man damit machen kann,

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