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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0104
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EINE DRITTE FAMILIE

weisen gar nichts, denn die beiden Plastiken befanden sich
natürlich in einer besonderen Kammer des Grabes, und
diese soll, als man sie 1871 öffnete, intakt gewesen sein.
Freilich kann man das heute nicht mehr nachprüfen. Auf-
fallend bleibt der Unterschied zwischen dem Boden, auf
dem die Füße stehen, und dem Rest. Der Boden ist von
dem knallenden Weiß, das alles übrige bedeckt, verschont
geblieben, und seine Farbe wirkt wie eine ältere Fassung.
Auf dem Knie der Madame Rahotep ist ein Stückchen
abgeblättert, und auch da kommt anscheinend eine mildere
Farbe ans Licht. Veränderungen der Farbe bei sonst in-
takten Plastiken sind keine Seltenheit. So entstellt den
Scribe im Chephrensaal und sein Gegenstück, das den-
selben Mann darstellen soll, eine giftgrüne Umränderung
der Augen, die nachträglich entstanden sein muß. Auch
die geschminkte Glätte der Hautfarbe des zweiten Stücks
scheint nicht ursprünglich.

Sicher fällt es schwer, sich irgendeine anspruchsvolle
Bemalung von Plastiken und zumal von diesen Plastiken
vorzustellen. Als wir eines Tages spärliche Reste eines
farbigen Musters im Kleid der Frau unserer Familie ent-
deckten, spürten wir im ersten Augenblick eher Verwir-
rung als Freude, aber kamen bald darüber hinweg, denn
die Reste der Farben hatten Reiz, und wir konnten mit
ihrer Hilfe die Gestalten bekleiden, ohne ihrer Schönheit
Abbruch zu tun; freilich ein Experiment, das bei der
Sparsamkeit des materiellen Anhalts der subjektiven Ko-
stümierung reichlichen Spielraum ließ. Immerhin stellte
sich auch bei dieser Gelegenheit ein unübersehbarer ob-
jektiver Unterschied zwischen Auftrag und Palette unserer
Gruppe und der Art des Rahotep heraus. Die Palette muß
reicher und beweglicher und der Auftrag viel weniger
dicht gewesen sein. Vor dem rohen Naturalismus blieb
unsere Familie bewahrt.

Gegen die Annahme, diese Roheit sei allgemein ge-

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