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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0107
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FARBE UND SCHMINKE

nur die Annahme besonderer Wünsche des Bestellers
übrig. Zu denen gehört schon die Verwendung künstlicher
Augen. Diese höchst kostbaren Augen aus Kristall, deren
Pupillen Silberstifte waren, vielleicht eine Mode bevor-
zugter Kreise, hemmten das plastische Werk und legten
der Malerei besondere, ebenso hinderliche Bedingungen
auf, wenn sie nicht Fremdkörper bleiben sollten. Es hat
auch weniger naturalistische Glasaugen gegeben. Anormal
scheint mir die Art, wie sich die beiden Gatten darstellen
ließen, auf verschiedenen Steinen und ohne jede Verbin-
dung. Warum nicht zusammen? War ursprünglich der
Mann allein und hat man die Frau später zugefügt? Hat
man sie etwa noch zu Lebzeiten des Prinzen gegen eine
andere ausgetauscht? Mit der auf den Reliefs dargestellten
Frau des Prinzen ist keine Ähnlichkeit zu entdecken, aber
der Zustand der Reliefs und die Art aller Reliefs schließen
solche Kontrollen aus.

Vermutlich gehörten Rahotep und seine kühl ge-
sinnte Gattin zu einer besonderen Klasse von Ägyptern,
von der wir weniger wissen als von den anderen Men-
schen der Steingruppen. Diese Annahme dürfte die größte
Wahrscheinlichkeit für sich haben. Sie erweitert unsere
Vorstellungen von der gesellschaftlichen Struktur des alten
Ägypten, in die wir uns so leicht hineinfinden zu können
glaubten. Das ungeeinte Paar gibt neben unserer „Fa-
milie“ und den „Alten“ eine dritte Kategorie, die in keinem
kultivierten Staatsleben, zumal in keinem, das mit Prin-
zen zu rechnen hat, fehlen darf. Dem uns nur zu ver-
trauten Naturalismus der Darstellung entspricht der Ge-
danke, in diesem dritten Paar ein dem Traum entrücktes
Abbild der modernen Ehe vor uns zu haben.

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