Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0116

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2.1 Terminologie und Typologie

105

bzw. von bereits gefertigten Kleidungsstücken durch einen Herrscher verstanden;
im engeren Sinne bezeichnen beide Begriffe eine in Farbe und Form übereinstim-
mende Gewandung der fürstlichen Klientel. Bei >Hofgewand< entspricht dieser
doppelte Wortsinn dem damaligen Gebrauch des Terminus', denn auch in den
Schriftzeugnissen des ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhunderts meint >Hofge-
wand< bzw. >Hofkleid< je nach Kontext entweder die vom Fürsten ausgeteilte Klei-
dung oder die einheitliche Kleidung einer fürstlichen Gefolg- und/oder Diener-
schaft. Im Falle von >Livree< speist sich die Doppeldeutigkeit hingegen aus zwei
Strängen. Im 18. Jahrhundert aus dem Französischen entlehnt, tradiert der Begriff
einerseits die Semantik des französischen Wortes >livrée<, das - abgeleitet vom mit-
tellateinischen liberare = liefern< - zunächst allgemein das Stellen von Sachgütern,
z. B. von Nahrung, Unterkunft oder Kleidung bezeichnet, bis sich seine Bedeutung
immer stärker auf das Austeilen von Hofkleidung bzw. auf die einheitliche Gewan-
dung von Diener- und/oder Gefolgschaft verengt.604 Andererseits besitzt >Livree< im
Deutschen einen eigenen Vorläufer mit einem ganz ähnlichen Bedeutungsfeld, und
zwar das Wort >Liberei<, das etymologisch ebenfalls auf das mittellateinische >libe-
rare< zurückgeht und seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. Unter
>Liberei< ist entweder ein Abzeichen auf der Kleidung, das ein Herrscher für sich
und seine Vasallen wählte, oder die Farbe, die ein Herrscher für die Hofkleidung
festlegte, oder das Hofgewand selbst zu verstehen.605 Außerhalb der Wissenschaft
trägt der aktuelle Sprachgebrauch insofern immer noch beiden historischen Wort-
bedeutungen Rechnung, als in der heutigen Begriffsdefinition - >uniformartige Be-
kleidung für Bedienstete< - nach wie vor die Bedeutung der Livree als >die vom
Dienstherrn gestellte Kleidung< mitschwingt.606
Problematisch ist indessen weniger der ambivalente Gebrauch beider Begriffe
an sich als vielmehr der Umstand, daß jener in vielen Forschungsarbeiten nicht re-
flektiert wird. Statt ausdrücklich zwischen einer weiteren und einer engeren Wort-
bedeutung zu differenzieren, werden beide stillschweigend vorausgesetzt und je
604 Zu den Begriffen livrée und gage am burgundischen Hof siehe David, De l'hôtellerie urbaine,
1963, S. 283. Am Hof Philipps des Guten etwa erhielten Gesandtschaften >»livrées< de nourri-
ture et de gîte«. David, De l'hôtellerie urbaine, 1963, S. 283, Anm. 4. Le Nouveau Petit Robert,
hrsg. von Rey-Debove, Rey, Paris 2003, S. 1504, führt unter dem Lemma >Livrée< hingegen nur
die engeren Wortbedeutungen auf: »1. anciennt: Vêtements aux couleurs des armes d'un roi,
d'un seigneur, que portaient les hommes de leur suite. 2. (fin XlVe) Habits d'un modèle parti-
culier, que portaient les domestiques masculins d'une même maison et de nos jours, uniforme
analogue (dans certains hotels).» Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde bei Hofe dazu über-
gegangen, nicht mehr die gesamte Hofgesellschaft, sondern nur noch das Personal einzuklei-
den. Der Begriff >Livree< bezeichnete fortan das uniformierte und zumeist in einem konserva-
tiven Schnitt gehaltene Gewand der höfischen Dienerschaft. Schnitzer, Höfische Maskeraden,
1999, S. 15. Als Dienstbotenbekleidung wurde die Livree am Hof so charakteristisch, daß >Li-
vree< im 18. Jahrhundert sowohl die Hofuniform als auch die Hofbediensteten, die diese tru-
gen, bezeichnen konnte. Schnitzer, Höfische Maskeraden, 1999, S. 9.
605 Vgl. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 6, 1885, Sp. 853-854; Kluge,
Etymologisches Wörterbuch, 1999, S. 522; Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch,
1992, S. 126.
606 Siehe Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 1999, S. 522. In sprachlichen Wendungen wie >ein
Amt bekleidem, die im 18. Jahrhundert die bestehende enge Verknüpfung zwischen Funktion
am Hof und der diese Funktion markierenden Kleidung ersichtlich machten (Schnitzer, Höfi-
sche Maskeraden, 1999, S. 8), wirkt der vormoderne Konnex von Stellung/Tätigkeit und Beklei-
dung bis heute nach.
 
Annotationen