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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0207

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3. Dresscodes und ihre Entschlüsselung

auch zugleich reproduziert wurden, konnten sie umgekehrt mittels Kleidung in
Frage gestellt und unterlaufen werden. Zusätzlich begünstigt wurde Karls >vesti-
mentärer Usurpationsversuch< dadurch, daß das Kurfürstenornat 1473 noch nicht
definitiv etabliert und somit für Abwandlungen zugänglich gewesen ist. In Anbe-
tracht des ohnehin gespannten Verhältnisses zwischen dem burgundischen Her-
zog und den Kurfürsten, das auf eine schon länger gärende Rivalität zurückging,
konnten die Kurfürsten Karls Gebaren nur als gezielte Provokation auf fassen. Daß
sie nicht bereit waren, diese Anmaßung hinzunehmen und ihre Zustimmung zu
einem burgundischen Königtum schließlich verweigerten, ist daher nicht weiter
verwunderlich ,204
Demzufolge hatte die stärkere Formalisierung fürstlicher Kleidungspraktiken
um 1500 durchaus zwei gegenläufige Effekte. Auf der einen Seite trug sie zur Her-
ausbildung einer präziseren Rangfolge innerhalb des Reichsfürstenstands bei und
half dadurch Rivalitäten einzudämmen. Auf der anderen Seite führte jedoch para-
doxerweise gerade die mit ihr einhergehende Ausdifferenzierung der Hierarchie
zu neuen Statusreibereien, weil sie - zumindest solange die Rangordnung, obgleich
schon klarer konturiert, (noch) im Fluß war - zur Formulierung sozialer und poli-
tischer Geltungsansprüche in der Kleidung regelrecht animierte. Nicht zuletzt we-
gen dieser Ambivalenz konnte der König über Kleidung ausgetragene Rangstrei-
tigkeiten zwischen den Fürsten über die Formalisierung der Kleidungspraktiken in
gewissem Maße steuern.

3.1.2 Kleidung und familialer Status
Kleidungspraktiken spielten an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert indes nicht
nur eine zentrale Rolle für die Binnenhierarchisierung des Reichsfürstenstandes,
sondern waren darüber hinaus höchst bedeutsam für geschlechts- und altersbe-
dingte Einordnungen innerhalb der fürstlichen Familie, in der üblicherweise jedes
Familienmitglied einen mit bestimmten Erwartungen und Lebenskonzepten ver-
knüpften Platz zugewiesen bekam.205 Markiert wurde der familiale Status vor allem
in der Frauenkleidung, wohingegen es für die männlichen Mitglieder der Fürsten-
familie in dieser Hinsicht anscheinend keine spezifischen Dresscodes gab.206 Zu-
nächst einmal unabhängig vom Geschlecht richtete sich daneben auch die Kinder-
kleidung in gewissem Sinne an innerfamilialen Konstellationen aus.

204 Dazu Müller, Théâtre de la préséance, 2007. Zur kurfürstenlichen Opposition gegen die bur-
gundische Rangerhöhung siehe Ehm, Burgund und das Reich, 2002, S. 181-182, zur Verbrei-
tung der Nachrichten vom Ausgang der Trierer Begegnung Seggern, Herrschermedien, 2003,
S. 309-337. Zusammenfassend zum Scheitern bzw. zur Bewertung der Trierer Zusammen-
kunft vgl. Ehm, Burgund und das Reich, 2002, S. 195-197.
205 Dazu grundlegend Spieß, Familie und Verwandtschaft, 1993. Pointiert Jussen, Der Name der
Witwe, 2000, S. 177: »Im Kleid trug eine Person die ihrem Stand zugewiesene spezifische Mo-
ralität, die offiziellen Erwartungen an die individuelle Lebensführung, am Leibe.«
206 Aus diesem Grund rücken im folgenden die Frauen stärker in den Vordergrund, nachdem im
vorherigen Kapitel resultierend aus der Quellenlage in erster Linie die Männer in den Blick
genommen worden sind.
 
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