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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0206

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3.1 Die Kleidung der Reichsfürsten

195

Johann Cicero von Brandenburg auf dem Wormser Reichstag anwesend, hatte Jo-
hann anscheinend anläßlich der bevorstehenden Belehnungszeremonie am 15. Juli
1495 das Kurfürstenornat als offizielle Gewandung für sich reklamiert. Aber dem
von Reppin ist nit zugelassen, sich anstat seins Herrn, Markgraf Johannsen, des kurfürstli-
chen habitz und claids zu gebrauchen.197 Sein Status als Stellvertreter des Kurfürsten
berechtigte ihn demnach nicht zum Tragen des kurfürstlichen Ornats, sondern er
musste sich seinem eigenen Rang gemäß kleiden.198
Welches Potential solche am Rang ausgerichteten Gewandungen gerade in po-
litischer Hinsicht bargen, hat indes wohl kaum einer so klar erkannt und für seine
Zwecke zu nutzen versucht wie Herzog Karl der Kühne von Burgund. Während
der Zusammenkunft mit Friedrich III. 1473 in Trier verlieh er seinen politischen
Ansprüchen nicht nur, wie oben ausgeführt worden ist, allgemein durch seine Klei-
dung Nachdruck, sondern machte diese pointiert in einem spezifischen Gewand
geltend: Zu den am 2. und 3. Oktober abgehaltenen Treffen beider Verhandlungs-
partner erschien Karl in ein gulden stück in mantels wies vor offen bis uff die erden und
mit hermlein gefiltert und hat ein umbgeslagen goller mit hermlein199, was an sich gänzlich
unverfänglich gewesen wäre. Seine eigentliche Brisanz erhielt dieser Mantel erst
durch die Form des umgeschlagenen Hermelingollers, der in deckt bis mitten in den
riikke und lenger dann die kurfürstenkappen gieng.200 Das heißt, der burgundische Her-
zog nahm nicht nur Anleihen beim Kurfürstenornat, sondern trieb die Sache noch
weiter, indem er einen kostbareren Brokatstoff wählte und mehr Hermelin im Gol-
ler verarbeiten ließ. Da die Ähnlichkeit zwischen Karls Mantel einerseits und dem
Ornat der Kurfürsten andererseits und damit zugleich die differierende Kragen-
breite offenbar sofort ins Auge sprangen201, ist davon auszugehen, daß der Herzog
von Burgund sein Outfit mit Absicht und wohl wissend um dessen Wirkung aus-
gesucht hatte.202 Hinter seiner Gewandwahl steckte offenkundig ein politisches
Kalkül: Angetan mit besagtem Mantel präsentierte er sich als in der Rangordnung
über den Kurfürsten stehend und reklamierte dadurch auch auf der nonverbalen
Ebene gut sichtbar die Königswürde für sich.203
Dabei machte er sich geschickt das Spannungsverhältnis, das grundsätzlich
zwischen Kleidung und Verfassungswirklichkeit bestand, zunutze: Weil Rangord-
nungen immer auch in Kleidung visualisiert und damit sowohl erst konstituiert als
197 Deutsche Reichstagsakten, Mittlere Reihe, Bd. 5.2, bearb. von Angermeier, 1981, Nr. 1744 (o. D.,
wohl Anfang August 1495), S. 1376.
198 Stellvertreter wurden generell gemäß ihres eigenen und nicht gemäß des höheren Ranges ih-
res Herrn behandelt. Siehe Stollberg-Rilinger, Des Kaisers alte Kleider, 2008, S. 52-53, S. 71.
199 Ehm, >...und begeret ein kunig zu werdem, 2002, S. 248; Dies., Burgund und das Reich, 2002,
S. 154.
200 Ebd.
201 Von den anwesenden Beobachtern assoziierten nicht nur die brandenburgischen Gesandten
Karls Mantel mit dem Kurfürstenornat, sondern auch ein Kleriker aus dem Gefolge des Erzbi-
schofs von Mainz. Siehe Ehm, Burgund und das Reich, 2002, S. 154 mit Anm. 156.
202 Mit Blick auf die wiederholt auf diversen Reichstagen und Konzilien geäußerten Ansprüche
der Burgunder, Vorrang vor den Kurfürsten zu haben, hat das - allerdings etwas zurückhal-
tender formuliert - schon Ehm, Burgund und das Reich, 2002, S. 154, angenommen. Ausführ-
licher zu dieser von burgundischer Seite beanspruchten Präzedenz Müller, Théâtre de la pré-
séance, 2007.
203 Der dem Kurfürstenornat ähnelnde Mantel stellte dabei nur ein, wenn auch ein wichtiges
Element in einem ganzen >Kleidungsprogramm< dar. Vgl. oben S. 179-182.
 
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