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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0022

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1.4 Methodische Grundlagen und Ausrichtung der Arbeit

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1.4 Methodische Grundlagen und Ausrichtung der Arbeit

Die der Dissertation zugrunde gelegte Auffassung von Kleidungspraktiken als so-
zialen, nonverbalen kommunikativen Handlungen, die die Zeichenhaftigkeit, mit-
hin also die symbolische Dimension von Kleidung in den Mittelpunkt stellt, ist
programmatisch in der Soziologie entwickelt worden, wo Kleidung als Untersu-
chungsobjekt par excellence für soziale Distinktionen und Prozesse der Gruppen-
bildung dient. Als zentral erweisen sich in diesem Zusammenhang insbesondere
die wegweisenden Arbeiten Pierre Bourdieus und Georg Simmels, deren Überle-
gungen deshalb, soweit sie für das hiesige Forschungsvorhaben relevant sind, auf-
gegriffen und als analytische Bezugsrahmen herangezogen werden.
Ausgehend von der Grundannahme, daß alle menschlichen Praktiken und
Einstellungen sozialisations- und damit gesellschaftlich bedingt sind61, rücken bei
Bourdieu Lebensstile als Manifestationen der sozio-ökonomischen Lage der Ak-
teure in den Vordergrund.62 Insbesondere Kleidungspraktiken - als einer prägnan-
ten Ausdrucksform von Lebensstilen - fällt dabei eine zentrale Rolle zu, da Klei-
dung zu denjenigen Unterscheidungen gehört, »die am deutlichsten die Stellung in
der Sozialstruktur symbolisieren«63: Laktische soziale Unterschiede, die durch un-
terschiedliche ökonomische Verhältnisse gegeben sind, werden durch Kleidung in
symbolische Unterscheidungen umgewandelt.64
Der symbolische Gebrauch von Kleidung als Unterscheidungsmerkmal erfüllt
gleichzeitig zwei gegensätzliche, aber dennoch aufeinander bezogene Lunktionen.
Auf der einen Seite schließt er einzelne aus einer Gruppe aus und grenzt eine
Gruppe als Ganzes von anderen Gruppen ab; auf der anderen Seite werden durch
ihn Gruppenzugehörigkeiten geschaffen. Er übernimmt also paradoxerweise zu-
gleich »eine gesellschaftliche Lunktion von Trennung und Verbindung«.65 Dieses
Paradoxon läßt sich besonders deutlich im Phänomen der Mode - d. h. den vorüber-
gehend herrschenden und wechselnden Bekleidungsweisen - greifen, wie es be-
reits Georg Simmel treffend formuliert hat.66 Als »Nachahmung eines gegebenen
Musters« läßt die Mode den Einzelnen mit der Allgemeinheit verschmelzen, befrie-
digt aber gleichzeitig das Bedürfnis des Einzelnen, sich von der Menge abzuheben
und zu unterscheiden.67 Mit anderen Worten: die Mode führt »die Tendenz nach
sozialer Egalisierung mit der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechs-

61 Aus dem umfangreichen wissenschaftlichen Œuvre Bourdieus stützt sich die vorliegende Ar-
beit vorwiegend auf Bourdieu, Klassenstellung und Klassenlage, 1974; Ders., Die feinen Un-
terschiede, 1987, und Ders., Sozialer Sinn, 1987. Eine hervorragende Synthese des Bourdieü-
schen Denkens bietet Flaig, Pierre Bourdieu, 2000.
62 Unter »Stilisierung des Lebens« versteht Bourdieu »die Setzung des Primats der Form gegen-
über der Funktion, der Modalitäten (und Manieren) gegenüber der Substanz«. Bourdieu, Die
feinen Unterschiede, 1987, S. 25.
63 Bourdieu, Klassenstellung und Klassenlage, 1974, S. 60.
64 Ebd. Der Begriff »symbolisch« beinhaltet nach Bourdieu, daß »die Form einer Handlung oder
eines Gegenstandes auf Kosten ihrer Funktion in den Vordergrund tritt.«
65 Ebd.
66 Vgl. Simmel, Die Mode, 1971; Ders., Philosophie der Mode, 1995.
67 Simmel, Die Mode, 1971, S. 7.
 
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