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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0138

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2.2 Vom Stoff zum Gewand: Die Anfertigung von Kleidung

127

Das >Recycling< von Kleidung stellte keineswegs eine Besonderheit deutscher
Fürstenhöfe dar, sondern ist auch für Höfe in anderen Ländern bezeugt. So ließ
Herzog Ludwig von Savoyen Gewänder aus kostbaren Pelzen und/oder Stoffen zu
neuen Kleidungsstücken umschneidern.732 Am Hof von Anjou wurden Pelze wie-
derholt weiterverarbeitet, so daß bei manchem Kleidungsstück lediglich die Ver-
brämungen aus bis dato unbenutztem Pelz bestanden, während der Rest aus ge-
brauchten Pelzen zusammengestückelt worden war.733 Desgleichen kleideten sich
im Spätmittelalter nachweislich die Könige von Frankreich, England und Sizilien,
die Herzoge von Burgund und die Päpste in Gewänder, die man teilweise oder
ganz und gar aus alten Pelzen genäht hatte.734 Die Wiederverwertung gebrauchter
Kleidung, bei der es sich allem Anschein nach um eine gängige, weit verbreitete
Praxis gehandelt hat735, gründete ohne Zweifel zu großen Teilen in finanziellen und
organisatorischen Erwägungen, denn sie sparte Geld, Zeit und Mühe. Zugleich
spiegelt diese Praxis aber auch die Begrenztheit hochwertiger Kleidungsmateria-
lien wider, die einen effizienten Umgang mit den vorhandenen Ressourcen erfor-
derlich machte. Weil Produkte wie exquisite Pelze auf dem spätmittelalterlichen
Markt nicht im Überfluß, sondern nur in begrenztem Maße verfügbar waren736, ver-
arbeiteten die Schneider alte Gewänder geschickt weiter. Auf diese Weise konnten
Kleidungsmaterialien optimal genutzt werden, um immer wieder neue fürstliche
>Outfits< zu kreieren.

2.2.3 Verarbeitung der Materialien
Sobald alle benötigten Materialien zusammengetragen worden waren, konnte mit
der Anfertigung von Gewändern, Kopfbedeckungen oder Fußbekleidung begon-
nen werden. An Fürstenhöfen übernahmen dies in erster Linie professionelle
Handwerker, und zwar sowohl Hofhandwerker als auch Handwerker aus der Um-
gebung. Während erstere fest besoldet für den Hof arbeiteten, wurden letztere für
einzelne Aufträge beschäftigt und entlohnt.737 Daneben stellten Fürstinnen und
ihre Hofdamen eigenhändig Kleidungsstücke und Kopfputz her.

732 Siehe die aufgeführten Beispiele bei Page, Vêtir le prince, 1993, S. 42-43.
733 Piponnier, Costume et vie sociale, 1970, S. 125.
734 Vgl. Delort, Le commerce des fourrures, 1978, S. 629-631. Zu Wiederverwendung und Repara-
tur von Pelzen am Hof Edwards I. von England siehe auch Lachaud, Textiles, furs and liveries,
1997, S. 95-96.
735 Nicht nur bei Hofe, sondern auch in wohlhabenden städtischen Haushalten wurde äußerst
sorgsam mit Gewändern umgegangen. Auch hier zeugen erhaltene Rechnungen von Umar-
beitungen, Ausbesserungen, Einfärbungen, jahrelanger Aufbewahrung, Reinigung und
Pflege der Kleidung. Selzer, Blau, 2010, S. 230-231.
736 Delort, Le commerce des fourrures, 1978, S. 632.
737 Vgl. exemplarisch für den Hof Herzog Sigismunds von Tirol Maleczek, Sachkultur am Hofe
Herzog Sigismunds von Tirol, 1982, S. 137; für den Wettiner Hof Streich, Zwischen Reiseherr-
schaft und Residenzbildung, 1989, S. 464. Für den englischen Königshof um 1300 belegt La-
chaud, Textiles, furs and liveries, 1997, S. 101-106, S. 114-120, S. 122, das Nebeneinander von
fest am Hof beschäftigten und okkasionell angestellten städtischen Handwerkern.
 
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