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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0039

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2. Von Stoffen und Gewändern

Eine ausführliche Beschäftigung mit und Klärung der Terminologie und Ty-
pologie von (höfischer) Kleidung in der zweiten Hälfte des 15. und den ersten Jahr-
zehnten des 16. Jahrhunderts wird aus drei Gründen als notwendig erachtet. Ers-
tens ist sie unumgänglich, um eine annähernde Vorstellung von der damaligen
Kleidung, ihrem Aussehen, ihren Formen sowie ihrer materiellen und farblichen
Beschaffenheit zu gewinnen. Zweitens wird sie an den Anfang gestellt, damit ein
Gespür für die Historizität des Untersuchungsgegenstands >Kleidung< entsteht und
deutlich wird, daß weder Terminologie noch Typologie so selbstverständlich sind,
wie es mitunter in der Forschungsliteratur den Anschein hat. Das gilt auch für das
Hofgewand und die Livree, die in diesem Zusammenhang ebenfalls begrifflich zu
klären sein werden. Drittens schließlich befaßt sich die Arbeit eingangs detailliert
mit den Kleidungsstücken als solchen, weil sich die kommunikativen Funktionen
von Kleidung an Fürstenhöfen auf feine Unterschiede gründen. Sowohl bei anhand
von Kleidung vorgenommenen sozialen Hierarchisierungen als auch bei der auf
Kleidung basierenden Konstruktion kultureller Unterschiede wird auf Schnitte,
Materialien und Farben rekurriert. Festgemacht werden derartige Distinktionen
gerade am Detail, weshalb die ausführliche Auseinandersetzung mit vermeintli-
chen kostümkundlichen Finessen keineswegs eine übertriebene Spitzfindigkeit
darstellt, sondern ganz und gar der inneren Logik der Kleidungspraktiken folgt.
Dresscodes52 konstituieren sich dabei weniger über die bloße Existenz von Diffe-
renzierungen als vielmehr darüber, daß den Formen, Materialien und Farben in
ihrer Verschiedenheit eine bestimmte Wertigkeit zugeschrieben wird. Da die spezi-
fische Wertigkeit primär vom jeweiligen sozialen Gebrauch, der von jenen gemacht
wird, herrührt, gewinnen die einzelnen Kleidungsschnitte, -materialien- und -fär-
ben ihre eigentliche Bedeutung erst, wenn man sie in einen kommunikativen Zu-
sammenhang einbettet. Erst vor der Folie nonverbaler Kommunikation betrachtet,
werden sie in ihrer ganzen Tragweite als symbolische Unterscheidungsmerkmale
deutlich und verständlich. Die folgenden Ausführungen zu Kleidungsstücken, ih-
ren Schnitten, Materialien und Farben sind deswegen immer vor dem Hintergrund
einer kulturellen Wertigkeit und im Hinblick auf deren Distinktionswert zu lesen.

2.1.1 Kleidungsstücke
Die Kleidung der Fürstinnen und Fürsten im Reich setzte sich in der zweiten Hälfte
des 15. und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts aus mehreren verschiede-
nen Gewändern zusammen. Schon ein erster flüchtiger Blick in die schriftlichen
Quellen vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt getragener Kleidung beider Ge-
schlechter. Als Margarete von Brandenburg, die Tochter Kurfürst Joachims I., 1530
mit Herzog Georg I. von Pommern vermählt wurde53, bekam sie unter anderem
Kleidung und Stoffe mit in die Ehe. An Gewändern erhielt sie fünf Röcke, zwei lange

S. 150-152. Die ambivalente Rezeption des Lexikons ist möglicherweise der Grund dafür, daß
es bisher keine Deutungshoheit in der Kostümkunde hat gewinnen können.
52 Zum Begriff des Dresscodes siehe S. 161.
53 Sie heirateten am 23. Januar 1530. Europäische Stammtafeln, hrsg. von Schwennicke, Bd. III.l,
1984, Tafel 3.
 
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