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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0232

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3.1 Die Kleidung der Reichsfürsten

221

die einmal getroffene Festlegung der Jungen auf eine weltliche oder geistliche
Laufbahn und vor allem auf die Nachfolge als Regent weitreichende Konsequen-
zen für die fürstliche Familie insgesamt und konnte bei Nichteinhaltung gar zur
Gefahr für den Fortbestand der Dynastie werden.322 Weil sie von fundamentaler
Bedeutung für die Fürstenfamilie ist, wird die Rangfolge der Söhne in Kleidung
deutlich visuell umgesetzt und der als Nachfolger des Vaters vorgesehene Sohn
erkennbar vestimentär markiert. Dieser am Bild gewonnene Befund kann zwar im
Hinblick auf die Jungenkleidung wegen fehlender Hinweise nicht durch schriftli-
che Quellen gestützt werden, für die einheitliche Kleidung von Mädchen aber be-
stätigen Rechnungen den Verzicht auf signifikante Unterscheidungsmerkmale. So-
mit ist zumindest verbürgt, daß auch die Fürstentöchter im Reich, wenn sie im
Partnerlook auftraten, vestimentär weder voneinander abgehoben noch in ein hie-
rarchisches Verhältnis zueinander gerückt wurden - ob im Unterschied zu den
Fürstensöhnen, muß offen bleiben.
Hinter all diesen Spielarten schimmert indessen stets ein und dasselbe Grund-
prinzip durch: Fürstenkinder konnten an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
über die Kleidung optisch in Beziehung zu anderen Familienmitgliedern gesetzt
werden. Mittels einheitlicher Gewänder, seien sie nun tatsächlich weitestgehend
identisch oder im wesentlichen gleichartig, wurde das einzelne Kind sichtbar in
ein familiales, gegebenenfalls hierarchisches Gefüge eingebettet und zugleich die-
ses Gefüge als Ganzes innerhalb der Fürstenfamilie hervorgehoben. In Bezug auf
die Personenkonstellationen gilt es dabei zu betonen, daß man nicht nur Brüder
oder Schwestern - seltener geschlechtsübergreifend Brüder und Schwestern - son-
dern auch Schwestern und Schwägerinnen gleich eingekleidet hat. Durch die vesti-
mentäre Einheitlichkeit wurde eine Zusammengehörigkeit sowohl nach außen als
auch nach innen signalisiert, die in diesem spezifischen Kontext als Ausdruck ei-
ner emotionalen Verbundenheit gemeint sein könnte323 und im Falle der Einbezie-
hung von angeheirateten Mädchen möglicherweise auf eine integrative Wirkung
abhob.

3.1.3 Fürstenkleidung im europäischen Raum
Fürstliche Kleidungspraktiken sind am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit
nicht nur sozial, sondern immer auch kulturell determiniert. Verankert in spezifi-
schen Lebenswelten, heben sie nicht allein auf gesellschaftlichen Status, Geschlecht
und/oder familialen Status, sondern gleichzeitig auf bestimmte, wenngleich nicht
klar umrissene geographische Räume ab. Schon die damaligen Zeitgenossen regis-
trierten Unterschiede zwischen einheimischer und fremdländischer Fürstenklei-
dung sehr genau und gingen von mehreren, zeitgleich nebeneinander existieren-
den räumlich gebundenen Moden aus. Auch die Kleidung der Reichsfürsten und
Reichsfürstinnen ist im späten 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts in eine Fürs-

322 Vgl. Spieß, Familie und Verwandtschaft, 1993.
323 Ob sich darin tatsächlich eine >neue Emotionalität< gegenüber Kindern Bahn bricht, die laut
Ulbricht, Der Einstellungswandel zur Kindheit, 1992, zwischen 1470 und 1520 entstand, sei
dahingestellt.
 
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