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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0300

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4. Schlußbetrachtung

Ausgehend von der Grundannahme, daß Kleidung nicht einfach nur den Körper
vor Witterung und Nacktheit schützt oder schmückt, sondern neben einer prakti-
schen immer auch eine kommunikative Funktion besitzt, hat sich die vorliegende
Arbeit höfischen Kleidungspraktiken an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit
zugewandt. Im Anschluß an die soziologischen Überlegungen zu Kleidung und
Mode von Pierre Bourdieu und Georg Simmel, die die Zeichenhaftigkeit von Klei-
dung zum Ansatzpunkt ihrer diesbezüglichen Forschungen gemacht haben, unter-
suchte sie den symbolischen Gebrauch von Kleidung als signifikantem Unterschei-
dungsmerkmal (Bourdieu) an Fürstenhöfen im Reich zwischen etwa 1450 und 1530
in seiner Bedeutung für die Visualisierung und Konsolidierung der bestehenden
sozial-politischen Ordnung. Unter der Prämisse, daß insbesondere unter den Be-
dingungen der ausgesprochen stark nonverbal-basierten (spät-)mittelalterlichen
Kommunikation vor allem der Kleidung eine hohe Bedeutsamkeit für die Kenn-
zeichnung sozialer Unterschiede zukam, wurde anhand unterschiedlichster Quel-
len - Rechnungen, Testamente, Inventare, Festbeschreibungen, Gesandtenberichte,
Chroniken, Hofordnungen und Briefe, aber auch Portraits, Handschriftenminiatu-
ren, Hofgewand- und Turnierbücher, Fresken, Grabmäler und Figurinen - die Rele-
vanz der höfischen Kleidungspraktiken für die Markierung von Rang, Hofzugehö-
rigkeit, national-kultureller Unterschiede und familialem Status herausgearbeitet.
Im Mittelpunkt standen dabei die Kleidungsgewohnheiten an den Höfen der Mark-
grafen von Brandenburg, der Herzoge von Sachsen und der Grafen von Württem-
berg, die jedoch laufend stichprobenartig mit den Kleidungspraktiken anderer
Fürstenhäuser abgeglichen wurden.
Als Ergebnis dieser bewußt breit angelegten, systematischen statt hofmono-
graphischen Zugangsweise konnte nach einer terminologisch-typologischen An-
näherung an die Fürsten- und Hofkleidung ein Set an Dresscodes ausgemacht wer-
den, die die höfischen Kleidungspraktiken strukturieren. Zu diesen stets auf die
Angemessenheit von Kleidung abzielenden, in sozialer Interaktion ausgehandelten
und von den Akteuren als gültig vorausgesetzten implizit getroffenen Vereinba-
rungen gehören um 1500 vornehmlich eine standesgemäße Gestaltung der Klei-
dung, fürstliche >Amtsroben<, eine charakteristische Witwenkleidung, die einheit-
liche Einkleidung von Geschwister- und mitunter auch Schwiegerkindern,
Trauerkleidung sowie die Livree, d. h. ein einheitliches Hofgewand, für die Hofbe-
diensteten im allgemeinen und das fürstliche Gefolge im besonderen. Die konkrete
Ausgestaltung dieser Dresscodes war dabei sowohl an regionale als auch und vor
allem an länderspezifische modische Besonderheiten gebunden, die ihren Aus-
druck insbesondere in abweichenden Gewandformen und Kleidungsschnitten fan-
den.
 
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