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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0301

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4. Schlußbetrachtung

Im Laufe der Untersuchung haben sich zunächst einmal vier Spannungsfelder
herausgeschält, in denen die Kleidungsgewohnheiten an Reichsfürstenhöfen im
ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert angesiedelt werden können,
nämlich erstens zwischen Sparsamkeit und ostentativem Prunk, zweitens zwi-
schen Funktionalität und Repräsentation, drittens zwischen Anpassung und Abhe-
bung sowie viertens zwischen Einbindung und Abgrenzung.
Im Spannungsfeld von Sparsamkeit und ostentativem Prunk bewegen sich hö-
fische Kleidungspraktiken insofern, als an Fürstenhöfen auf der einen Seite weder
Kosten noch Mühen gescheut wurden, um ein standesgemäßes vestimentäres Er-
scheinungsbild der fürstlichen Familie und des Hofes sicherzustellen, auf der an-
deren Seite aber immer wieder Bemühungen unternommen wurden, die Kosten
einzudämmen und in einem verträglichen Rahmen zu halten. Enormen Summen,
die für hochwertige, aus Italien importierte Seidenstoffe, für aufwendige Gold-, Sil-
ber-, Perlen- und Edelsteinstickereien, für kostbare Pelze, für importierte lündische
und Mechelner Tuche, für das alltägliche Hofgewand oder festliche Livreen für bis
zu mehrere hundert Personen aufgewendet wurden, stehen eine möglichst effi-
ziente Nutzung der Materialien, der sorgsame Umgang mit Kleidungsstücken, die
regelmäßig gereinigt, ausgebessert und geflissentlich in teils abschließbaren Ge-
wandtruhen aufbewahrt wurden, das Aufträgen gebrauchter Gewänder, das Um-
färben von Stoffen, Umarbeitungen von alten Kleidungsstücken bzw. die Weiter-
verwendung von Stoffen und Pelzen, die schon einmal in Kleidung verarbeitet
worden waren, eine akribische Kontrolle über und sichere Verwahrung der Klei-
dungsmaterialien in der Hofschneiderei und Silberkammer, Handarbeiten von
Fürstinnen, die Hemden und Hauben fertigten, sowie nicht zuletzt die Einkalku-
lierung großzügiger Säume zum Herauslassen bei den Gewändern der noch wach-
senden Kinder, damit jene länger getragen werden konnten, gegenüber. Pointiert
läßt sich der für Kleidungsangelegenheiten bei Hofe betriebene finanzielle Auf-
wand unter dem Motto >so viel wie nötig, so wenig wie möglich< zusammenfassen.
Des weiteren können höfische Kleidungspraktiken an der Wende vom 15. zum
16. Jahrhundert im Spannungsfeld von Funktionalität und Repräsentation verortet
werden. Waren Fürstengewänder dafür vorgesehen, zu einem bestimmten Zweck
getragen zu werden wie etwa auf der Jagd, beim Turnier, im Bad, zur Nacht oder
auf Reisen, wurde den spezifischen Anforderungen, die die unterschiedlichen Tä-
tigkeiten jeweils an Kleidung stellten, bei der Wahl der verwendeten Materialien
oder der Festlegung der Schnitte durchaus Rechnung getragen. Bei der Jagdklei-
dung und bei der über der Rüstung getragenen Turnierkleidung wurde etwa da-
rauf geachtet, daß sie genügend Bewegungsfreiheit ließen, und Reisegewänder, die
vor Witterung und Straßenstaub schützen sollten, nähte man aus einfacheren, ro-
busteren Stoffen. Zum Teil wurden sie mit Wachs imprägniert und als Regenmäntel
benutzt. Der Aspekt der Zweckdienlichkeit fand auch in der Kinderkleidung Be-
achtung, bei deren Anfertigung die Hofschneider nicht nur Rücksicht auf das Grö-
ßenwachstum, sondern auch auf den kindlichen Bewegungsdrang nahmen. Spezi-
elle Schutzvorrichtungen wie Fallhüte oder Gängelbänder sollten beispielsweise
verhindern, daß die Kinder sich beim Laufenlernen Verletzungen zuzogen; aus
Leder hergestellte Hosen trugen dem Umstand Rechnung, daß Kinderkleidung
stärker beansprucht werden und schneller kaputt gehen konnte. Bei aller Funktio-
nalität verloren die Reichsfürsten und Reichsfürstinnen indessen keineswegs eine
 
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