Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0173

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
162

3. Dresscodes und ihre Entschlüsselung

würde.1 Weitere Trennlinien verliefen innerhalb der Fürstenfamilie, vor allem zwi-
schen den beiden Geschlechtern, zwischen Eltern und Kindern. Beides, sowohl der
gesellschaftliche als auch der familiale Status, schlug sich in Kleidung nieder. Was
die Verankerung des gesellschaftlichen Status' in fürstlichen Kleidungspraktiken
betrifft, erweisen sich erstens das Bemühen um Distinktion durch Kleidung in ei-
nem sozialen Gefüge mit vergleichsweise wenig fixierter Hierarchie und zweitens
der Trend zur Formalisierung der vestimentären Ordnung, der zumindest tenden-
ziell zur Herausbildung einer >formaleren< Hierarchie innerhalb des Reichsfürsten-
standes führt, als maßgebliche Aspekte. In Bezug auf den familialen Status waren
fürstliche Kleidungspraktiken indessen stärker geschlechtsspezifisch geprägt und
zielten vorwiegend auf die Sichtbarmachung verwandtschaftlicher Beziehungen
und Konstellationen ab. Die Art und Weise, wie sich Reichsfürsten und Reichsfürs-
tinnen in der zweiten Hälfte des 15. und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhun-
derts kleideten, unterlag somit ganz unterschiedlichen Dresscodes.
3.1.1 Binnenhierarchisierung
Abgesehen vom verfassungsrechtlichen Vorrang der Kurfürsten, wie er in der Gol-
denen Bulle schriftlich verankert worden war, existierte für den Reichsfürsten-
stand im Spätmittelalter keine en détail festgelegte, verbindliche Rangordnung.2
Vielmehr wurde sie in der Praxis stets aufs Neue ausgehandelt. Unter den Bedin-
gungen mittelalterlicher Kommunikation mit ihrem spezifischen >face-to-face<-
Charakter bedeutete das, daß sich eine konkrete Rangfolge erst konstituierte, wenn
Fürsten sich persönlich begegneten - sei es im Rahmen von Hochzeiten, Turnieren,
Jagden und ähnlichen gesellschaftlichen Ereignissen oder Reichstagen und ande-
ren Herrscherzusammenkünften.
Das Fehlen einer de jure geltenden Rangordnung schuf eine erhebliche Kon-
kurrenzsituation zwischen den Reichsfürsten und führte zu einem ständigen Wett-
bewerb um eine möglichst günstige Positionierung innerhalb der Gruppe. Emi-
nente Bedeutung für die Formierung einer sozialen Hierarchie innerhalb des
Reichsfürstenstandes wuchs damit dem Prestige zu, d. h. der Anerkennung und
Wertschätzung, die eine Person von Anderen zugeschrieben bekommt, denn das
individuelle Prestige entscheidet in einer sozialen Gruppe, in der die Gruppenmit-
glieder nominell relativ gleichrangig sind und deshalb in einem ausgeprägten Kon-
kurrenzverhältnis zueinander stehen, in hohem Maße mit über den Rang.3
Das Prestige eines Fürsten korrelierte im späteren 15. und frühen 16. Jahrhun-
dert, wie an anderer Stelle am Beispiel der Fivree ausführlicher darzulegen sein
wird, in erster Finie mit seinem ökonomischen und sozialen Kapital.4 Beides setz-
ten Fürsten deshalb gezielt ein, um sich der für die Positionierung innerhalb der
1 Diese Unterschiede herauszuarbeiten, hat sich das Greifswalder DFG-Projekt Principes: Das
soziale Beziehungsnetz der Reichsfürsten und die innere Struktur des Reichsfürstenstandes im Spätmit-
telalter unter der Leitung von Prof. Karl-Heinz Spieß zum Ziel gesetzt. Vgl. www.phil.uni-
greifswald.de/bereich2/histin/Is/ma/ma-forschung/principes.html (20. Februar 2012).
2 Spieß, Rangdenken und Rangstreit, 1997, S. 44.
3 >Rang< wird hier in soziologischem Sinne aufgefaßt als Position einer Person oder einer
Gruppe innerhalb der Hierarchie eines sozialen Systems.
4 Siehe neben dem folgenden auch unten S. 269-270.
 
Annotationen