Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0208

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3.1 Die Kleidung der Reichsfürsten

197

3.1.2.1 Jungfrau, Ehefrau, Witwe
Im Spätmittelalter wurden Männer und Frauen auf unterschiedliche Art und Weise
innerhalb der Gesellschaft verortet. Während der Mann anhand seiner gesell-
schaftlichen Funktion positioniert wurde, wurde die Stellung der Frau über ihren
familialen Status definiert. Einem die drei Kategorien >Ritter - Klerus - Bauen um-
fassenden männlichen Klassifizierungsschema wurde im spätmittelalterlichen
Denken ein dreigliedriges weibliches Klassifizierungsschema >Jungfrau - Ehe-
frau - Witwe< entgegengesetzt. Die Frau wurde also im Verhältnis zum Mann und
damit letztendlich über ihren Körper und ihre Sexualität bestimmt.207 Dieses Raster
schimmert prinzipiell auch in den zeitgenössischen Kleidungspraktiken durch, al-
lerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Anders als das grundsätzliche
Klassifizierungsschema weiblicher Lebensphasen, welches losgelöst von der sozia-
len Herkunft entworfen wurde, waren die an den familialen Status der Frau gekop-
pelten Dresscodes nur bedingt standesübergreifend. Zwar wiesen die Gewänder
von Jungfrauen, Ehefrauen und Witwen quer durch alle sozialen Schichten prinzi-
piell die gleichen Charakteristika auf, aber deren Ausgestaltung erfolgte stets in
Abhängigkeit vom gesellschaftlichen Status. In der Frauenkleidung überlagerten
sich gleichsam beide Klassifizierungsschemata, d. h. das weibliche Geschlecht
wurde im Gegensatz zum männlichen Geschlecht vestimentär zweifach, unter
Wahrung des gesellschaftlichen und des familialen Status', definiert.
Diese Doppelfunktion traf auch auf die Kleidung von Reichsfürstinnen im 15.
und frühen 16. Jahrhundert zu. Sofern die weiblichen Mitglieder der Fürstenfamilie
nicht ein geistliches Leben führten, wurden ihre Kleidungspraktiken wie die ande-
rer Frauen auch durch ihr Dasein als Jungfrau, Ehefrau oder Witwe mit bestimmt.
Bis zur Eheschließung durfte eine Fürstin ihr Haupt unbedeckt lassen und konnte
frei entscheiden, ob sie eine Kopfbedeckung tragen wollte; sobald sie jedoch gehei-
ratet hatte, war sie verpflichtet, ihr Haar mehr oder weniger vollständig unter ei-
nem Schleier, einer Haube oder einem Barett zu verbergen.208 Während der Unter-
schied zwischen einer unverheirateten und einer verheirateten Frau für gewöhnlich
lediglich durch einen Kopfputz angezeigt wurde, machte Witwenschaft offenbar
eine vestimentäre Kennzeichnung erforderlich, die weit über die Kopfbedeckung
hinausging und das gesamte äußere Erscheinungsbild erfaßte.209
Wenngleich es eine allgemeine, im Sinne einer in Schnitt, Material und Farbe
einheitlichen Witwenkleidung für Fürstinnen augenscheinlich nicht gegeben hat,
besaßen die verschiedenen Witwentrachten einige gemeinsame Charakteristika,
die sie deutlich von der üblicherweise getragenen Kleidung abhoben. Bildliche Dar-

207 Vgl. Fischer, Spätmittelalterliche Unterweisungsschriften, 2000, S. 353-354. Umfassend be-
handelt wird die Denkfigur >Jungfrauen - Witwen - Verheiratete< und ihre im Laufe des Mit-
telalters erfolgende Bedeutungsverschiebung »von einem am jenseitigen Lohn orientierten
Modell der Gesellschaft zu einer Ordnung der Zuhörerinnen ohne moralische Wertung« bei
Jussen, Der Name der Witwe, 2000, S. 43-147, resümierend S. 140-147, Zitat S. 147.
208 Die Sitte, daß verheiratete Frauen ihr Haar bedecken mußten, setzte sich im 13. Jahrhundert
durch. Kühnei (Hrsg.), Alltag im Spätmittelalter, 1986, S. 233.
209 Daß »la nécessité, reconnue partout, d'une visualisation costumière du veuvage« noch in der
Frühen Neuzeit ein allen sozialen Gruppen gemeinsamer Zug der Witwenkleidung blieb,
konstatiert mit Blick auf das Ancien Régime Pellegrin, Le sexe du crêpe, 2003, S. 221.
 
Annotationen