Sultan Soliman als Retter des Sanct Georg zu Ofen.
Mitteilung von Georg Jacob-Erlangen.
gEflQus dem 17.Jahrh. besitzen wir in Evlija einen
türkischen Geographen, der mit einer um-
fassenden Vielseitigkeit, die von keinem
seiner arabischen Kollegen auch nur annähernd
erreicht wird, nicht nur das osmanische Reich,
sondern auch das von ihm bereiste Abendland
(im siebenten, noch ungedruckten Bande z. B.
Deutschland) schildert. Die Erschließung seines
Werkes würde für Sprachwissenschaft, Wirt-
schaftsgeschichte, Landes- und Volkskunde des
vorderen Orients und andere Disziplinen von der
größten Wichtigkeit sein. Leider sind von den
zehn Bänden, die in der Pertev-Pascha-Bibliothek
zu Skutari liegen, bisher nur sechs in Konstanti-
nopel (1314 ff.) und zwar mit zahlreichen Kür-
zungen und Versehen, über die ich an anderer
Stelle zu handeln gedenke, gedruckt. Hammers
englische Übersetzung (London 1850) stellt nur
einen Auszug der beiden ersten Bände dar. Der
sechste Band, von Karäcson (Budapest 1904) ins
Ungarische übertragen, enthält eine sehr ein-
gehende Beschreibung Ungarns unter türkischer
Herrschaft. Aus ihm möchte ich als kleine Probe,
die nach verschiedenen Seiten Interesse hat, von
der Schilderung Ofens den Anfang des Ab-
schnitts über die Wohltätigkeitsanstalten der
innern Festung in deutscher Übersetzung mit-
teilen.
Wer Ofen besuchte, kennt das alte Standbild
des heiligen Georg bei der Mathiasstiege (Mätyäs
lepcsö), die zur Mathiaskirche emporführt Über
das Kunstwerk habe ich in der kunstwissenschaft-
lichen Literatur vergeblich nähere Auskunft ge-
sucht. Wenigen dürfte bekannt sein, daß wir
seine Erhaltung Sultan Soliman dem Großen, dem
Belagerer Wiens, verdanken, während sein be-
rühmter Schejch ul-Isläm Ebu’s-suüd (f 1574 D)
die Zertrümmerung verlangte.
(Evlija’s Sejahatname1, 6. Band, S. 237/8:)
1 Reisewerk, die Türken sprechen so, indem sie, worauf
mich Snouck Hurgronje aufmerksam macht, das Wort an
sejah (arab. sajjäh) Reisender anlauten; ein arabischer
Grammatiker würde sijähet erwarten.
„Die Wohltätigkeitsanstalten der inneren Festung.
Ihre Moscheen belaufen sich insgesamt auf 21
Gebetsnischen. Die Sülejman1-Chan -Moschee
war vordem eine kunstvolle Kirche. Die Länge
dieser alten Moschee von dem Tor gegenüber
der Gebetsnische bis zu dieser beträgt 200 Fuß
und ihre Breite 100 Fuß. Sie hat ein Minaret
(S. 238), das vormals Glockenturm war. 210 Stufen
hoch ragt das Minaret empor, und winzig er-
scheint Pest von seiner Höhe; ich betrachtete die
Ebenen von Ofen. Es ist ein aus reinem weißen
Marmor gefertigtes wohlproportioniertes und
kunstreiches Minaret. Diese Moschee hat zwei
Tore.
Vor dem Tore an der Ostseite hat ein Ferhäd-
ähnlicher2 Meister einen geflügelten Drachen aus
weißem Marmor gebildet, gleich als ob dieser
lebendig wäre; er steht da, seinen Mund öffnend,
seine Lippen ausspannend und seinen Schwanz
ringelnd. Vor dem Drachen sitzt der heilige Georg,
dem Götzen Lät2 vergleichbar, auf einem Rosse
und indem er ihm mit einer Lanze einen Stich
beibringt, ist er im Begriff, ihn von vorn zu
packen und zu zertreten.
Als zur Zeit der Eroberung [durch die Türken]
Ebu’s-sucüd erklärte: „Bildnisse sind verboten,
dieses Abbild aber hat man nicht zertrümmert,“
betätigte der Glaubenskämpfer Sülejman Chan
seine milde Gesinnung, indem er mit den Worten:
„Niemand soll dieses Standbild schauen; die
Gläubigen sollen es nicht sehen“ seinen Kaschmir-
schal vom Halse nahm, über diese Gestalten
decken ließ und sie so vor der Zertrümmerung
errettete.
Aber diese herrliche Moschee ist nicht mit
Kuppeln aus Werksteinen gebaut. Die Dächer
aller Wohltätigkeitsanstalten über wunderbar aus-
gemalter Decke, die auf lauter Cypressen-Pfeilern
ruht, sind mit dunkelfarbigem Blei gedeckt.“
1 Die türkische Form des Namens Soliman.
2 Solche Vergleiche sind rein rhetorisch zu verstehen.
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Mitteilung von Georg Jacob-Erlangen.
gEflQus dem 17.Jahrh. besitzen wir in Evlija einen
türkischen Geographen, der mit einer um-
fassenden Vielseitigkeit, die von keinem
seiner arabischen Kollegen auch nur annähernd
erreicht wird, nicht nur das osmanische Reich,
sondern auch das von ihm bereiste Abendland
(im siebenten, noch ungedruckten Bande z. B.
Deutschland) schildert. Die Erschließung seines
Werkes würde für Sprachwissenschaft, Wirt-
schaftsgeschichte, Landes- und Volkskunde des
vorderen Orients und andere Disziplinen von der
größten Wichtigkeit sein. Leider sind von den
zehn Bänden, die in der Pertev-Pascha-Bibliothek
zu Skutari liegen, bisher nur sechs in Konstanti-
nopel (1314 ff.) und zwar mit zahlreichen Kür-
zungen und Versehen, über die ich an anderer
Stelle zu handeln gedenke, gedruckt. Hammers
englische Übersetzung (London 1850) stellt nur
einen Auszug der beiden ersten Bände dar. Der
sechste Band, von Karäcson (Budapest 1904) ins
Ungarische übertragen, enthält eine sehr ein-
gehende Beschreibung Ungarns unter türkischer
Herrschaft. Aus ihm möchte ich als kleine Probe,
die nach verschiedenen Seiten Interesse hat, von
der Schilderung Ofens den Anfang des Ab-
schnitts über die Wohltätigkeitsanstalten der
innern Festung in deutscher Übersetzung mit-
teilen.
Wer Ofen besuchte, kennt das alte Standbild
des heiligen Georg bei der Mathiasstiege (Mätyäs
lepcsö), die zur Mathiaskirche emporführt Über
das Kunstwerk habe ich in der kunstwissenschaft-
lichen Literatur vergeblich nähere Auskunft ge-
sucht. Wenigen dürfte bekannt sein, daß wir
seine Erhaltung Sultan Soliman dem Großen, dem
Belagerer Wiens, verdanken, während sein be-
rühmter Schejch ul-Isläm Ebu’s-suüd (f 1574 D)
die Zertrümmerung verlangte.
(Evlija’s Sejahatname1, 6. Band, S. 237/8:)
1 Reisewerk, die Türken sprechen so, indem sie, worauf
mich Snouck Hurgronje aufmerksam macht, das Wort an
sejah (arab. sajjäh) Reisender anlauten; ein arabischer
Grammatiker würde sijähet erwarten.
„Die Wohltätigkeitsanstalten der inneren Festung.
Ihre Moscheen belaufen sich insgesamt auf 21
Gebetsnischen. Die Sülejman1-Chan -Moschee
war vordem eine kunstvolle Kirche. Die Länge
dieser alten Moschee von dem Tor gegenüber
der Gebetsnische bis zu dieser beträgt 200 Fuß
und ihre Breite 100 Fuß. Sie hat ein Minaret
(S. 238), das vormals Glockenturm war. 210 Stufen
hoch ragt das Minaret empor, und winzig er-
scheint Pest von seiner Höhe; ich betrachtete die
Ebenen von Ofen. Es ist ein aus reinem weißen
Marmor gefertigtes wohlproportioniertes und
kunstreiches Minaret. Diese Moschee hat zwei
Tore.
Vor dem Tore an der Ostseite hat ein Ferhäd-
ähnlicher2 Meister einen geflügelten Drachen aus
weißem Marmor gebildet, gleich als ob dieser
lebendig wäre; er steht da, seinen Mund öffnend,
seine Lippen ausspannend und seinen Schwanz
ringelnd. Vor dem Drachen sitzt der heilige Georg,
dem Götzen Lät2 vergleichbar, auf einem Rosse
und indem er ihm mit einer Lanze einen Stich
beibringt, ist er im Begriff, ihn von vorn zu
packen und zu zertreten.
Als zur Zeit der Eroberung [durch die Türken]
Ebu’s-sucüd erklärte: „Bildnisse sind verboten,
dieses Abbild aber hat man nicht zertrümmert,“
betätigte der Glaubenskämpfer Sülejman Chan
seine milde Gesinnung, indem er mit den Worten:
„Niemand soll dieses Standbild schauen; die
Gläubigen sollen es nicht sehen“ seinen Kaschmir-
schal vom Halse nahm, über diese Gestalten
decken ließ und sie so vor der Zertrümmerung
errettete.
Aber diese herrliche Moschee ist nicht mit
Kuppeln aus Werksteinen gebaut. Die Dächer
aller Wohltätigkeitsanstalten über wunderbar aus-
gemalter Decke, die auf lauter Cypressen-Pfeilern
ruht, sind mit dunkelfarbigem Blei gedeckt.“
1 Die türkische Form des Namens Soliman.
2 Solche Vergleiche sind rein rhetorisch zu verstehen.
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