T urkmenenteppiche.
Von Josef Kuderna-Wien.
Mit 8 Abbildungen auf 2 Tafeln (III—IV).
er orientalische Teppich hält seit mehreren
Jahrzehnten das Interesse der Gelehrten-
weit und einer breiten Schichte des Pub-
likums gefangen: erstere sieht in ihm ein be-
deutendes Hilfsmittel für kunst- und kulturhisto-
rische Studien und letzteres konzentriert seine
erfüllbaren Wünsche oft auf den Besitz echter
Smyrna- und Perserteppiche. Der Laie kennt nur
diese beiden Gruppen orientalischer Teppiche und
würde einem Händler, der einen Teppich wahr-
heitsgemäß als „kaukasischen“ oder „zentralasia-
tischen“ anpreisen wollte, mit Mißtrauen be-
gegnen. Übrigens sind angesichts des Um-
standes, daß die meisten europäischen und ameri-
kanischen Händler ihren Bedarf nicht an den
ErzeugungsStätten selbst, sondern in Konstan-
tinopel zu decken gezwungen sind, diese oft selbst
nicht imstande, die gekaufte Ware richtig zu
klassifizieren.
Eigentlich sollte die einschlägige Literatur in
jenen Gesellschaftsklassen, welche Interessenten
für echte Teppiche sind, heute schon genügend
aufklärend gewirkt haben. Sie sollte es — ob
sie jedoch dazu die Eignung besitzt, ist eine
andere Frage. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß
der Literatur im Verein mit großartig angelegten
Ausstellungen das Verdienst gebührt, den orien-
talischen Teppich im allgemeinen ins rechte Licht
gerückt zu haben, aber sie weist in der Gruppen-
einteilung noch derart klaffende Lücken auf und
ist gegen einzelne Erzeugungsgebiete von einer
geradezu klassischen Ungerechtigkeit, daß uns
der oben erwähnte Umstand, im Handel meist
nur als „Perser“ und „Smyrna“ bezeichneten
Teppichen zu begegnen, nicht wunder nehmen
kann.
A. Riegl, dessen im Jahre 1891 erschienenes
Werk „Altorientalische Teppiche“ in der deutschen
Lesewelt wohl das bekannteste ist, negiert das
geometrische Muster der Nomadenteppiche als
selbstständige, nationale Form und behandelt die
für uns heute in Betracht kommende, sehr wich-
tige „zentralasiatische Teppichgruppe“ als
„Perser“ im weiteren Sinne. Er schreibt nach
der Besprechung der Nomadenteppiche ausdrück-
lich: „Es erübrigt uns noch die dritte und viel-
seitigste Gruppe von orientalischen Teppichen,
die persischen im engeren Sinne, kennen
zu lernen.“ So oder ähnlich urteilten vor und
nach ihm Semper, Birdwood, Robinson, Lessing
und andere und es fand sich meines Wissens
nach bis in die jüngste Zeit niemand, um diese
Ansicht ernstlich zu widerlegen.
In dem populär geschriebenen Werke „Hand-
buch der orientalischen Teppichkunde“,
welches 1909 im Verlag Karl W. Hiersemann,
Leipzig, erschien, habe ich als Mitarbeiter auf
eine strengere Sonderung der zentralasiatischen
Teppiche, als sie bisher üblich war, gedrängt.
Julius Orendi, welcher nach dem plötzlich er-
folgten Tode seines Freundes Rudolf Neuge-
bauer die Fertigstellung dieses Werkes über-
nahm, konnte sich meiner Anschauung nicht
verschließen, obzwar ich damals noch kaum in
der Lage gewesen wäre, überzeugende Beweise
dafür zu erbringen, warum dem zentralasiatischen
Teppich ein ganz anderer Platz, als der ihm zu-
gewiesene, gebühre. Mich leitete nur eine Emp-
findung, welche zu meiner Genugtuung der über-
aus gewiegte Praktiker Julius Orendi teilte.
Im Februar 1908 war in Petersburg der erste
Teil und im Mai 1909 der zweite Teil eines
Werkes, verfaßt vom General A. Bogoljuboff
„Les tapis de l’Asie centrale“ in russischer und
französischer Sprache erschienen und wurde, nach-
dem ich mich durch eingehendes Studium von
der außerordentlichen Wichtigkeit der behandelten
Materie und der Originalität des Autors über-
zeugt hatte, von mir im Jahre 1910 in die deut-
sche Sprache übersetzt (A. Bogoljuboff „Teppiche
Zentralasiens“ Verlag Karl W. Hiersemann, Leipzig).
A. Bogoljuboff steht bezüglich der zentral-
asiatischen Teppiche mit nahezu sämtlichen Au-
toren, welche dieses Thema vor ihm behandelten,
auf einem gegensätzlichen Standpunkt. Dieser
Autor war eine zeitlang der Kommandant des
transkaspischen Gebietes, welches im Jahre 1885,
nach dem Falle von Geok-Tepe unter russische
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Von Josef Kuderna-Wien.
Mit 8 Abbildungen auf 2 Tafeln (III—IV).
er orientalische Teppich hält seit mehreren
Jahrzehnten das Interesse der Gelehrten-
weit und einer breiten Schichte des Pub-
likums gefangen: erstere sieht in ihm ein be-
deutendes Hilfsmittel für kunst- und kulturhisto-
rische Studien und letzteres konzentriert seine
erfüllbaren Wünsche oft auf den Besitz echter
Smyrna- und Perserteppiche. Der Laie kennt nur
diese beiden Gruppen orientalischer Teppiche und
würde einem Händler, der einen Teppich wahr-
heitsgemäß als „kaukasischen“ oder „zentralasia-
tischen“ anpreisen wollte, mit Mißtrauen be-
gegnen. Übrigens sind angesichts des Um-
standes, daß die meisten europäischen und ameri-
kanischen Händler ihren Bedarf nicht an den
ErzeugungsStätten selbst, sondern in Konstan-
tinopel zu decken gezwungen sind, diese oft selbst
nicht imstande, die gekaufte Ware richtig zu
klassifizieren.
Eigentlich sollte die einschlägige Literatur in
jenen Gesellschaftsklassen, welche Interessenten
für echte Teppiche sind, heute schon genügend
aufklärend gewirkt haben. Sie sollte es — ob
sie jedoch dazu die Eignung besitzt, ist eine
andere Frage. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß
der Literatur im Verein mit großartig angelegten
Ausstellungen das Verdienst gebührt, den orien-
talischen Teppich im allgemeinen ins rechte Licht
gerückt zu haben, aber sie weist in der Gruppen-
einteilung noch derart klaffende Lücken auf und
ist gegen einzelne Erzeugungsgebiete von einer
geradezu klassischen Ungerechtigkeit, daß uns
der oben erwähnte Umstand, im Handel meist
nur als „Perser“ und „Smyrna“ bezeichneten
Teppichen zu begegnen, nicht wunder nehmen
kann.
A. Riegl, dessen im Jahre 1891 erschienenes
Werk „Altorientalische Teppiche“ in der deutschen
Lesewelt wohl das bekannteste ist, negiert das
geometrische Muster der Nomadenteppiche als
selbstständige, nationale Form und behandelt die
für uns heute in Betracht kommende, sehr wich-
tige „zentralasiatische Teppichgruppe“ als
„Perser“ im weiteren Sinne. Er schreibt nach
der Besprechung der Nomadenteppiche ausdrück-
lich: „Es erübrigt uns noch die dritte und viel-
seitigste Gruppe von orientalischen Teppichen,
die persischen im engeren Sinne, kennen
zu lernen.“ So oder ähnlich urteilten vor und
nach ihm Semper, Birdwood, Robinson, Lessing
und andere und es fand sich meines Wissens
nach bis in die jüngste Zeit niemand, um diese
Ansicht ernstlich zu widerlegen.
In dem populär geschriebenen Werke „Hand-
buch der orientalischen Teppichkunde“,
welches 1909 im Verlag Karl W. Hiersemann,
Leipzig, erschien, habe ich als Mitarbeiter auf
eine strengere Sonderung der zentralasiatischen
Teppiche, als sie bisher üblich war, gedrängt.
Julius Orendi, welcher nach dem plötzlich er-
folgten Tode seines Freundes Rudolf Neuge-
bauer die Fertigstellung dieses Werkes über-
nahm, konnte sich meiner Anschauung nicht
verschließen, obzwar ich damals noch kaum in
der Lage gewesen wäre, überzeugende Beweise
dafür zu erbringen, warum dem zentralasiatischen
Teppich ein ganz anderer Platz, als der ihm zu-
gewiesene, gebühre. Mich leitete nur eine Emp-
findung, welche zu meiner Genugtuung der über-
aus gewiegte Praktiker Julius Orendi teilte.
Im Februar 1908 war in Petersburg der erste
Teil und im Mai 1909 der zweite Teil eines
Werkes, verfaßt vom General A. Bogoljuboff
„Les tapis de l’Asie centrale“ in russischer und
französischer Sprache erschienen und wurde, nach-
dem ich mich durch eingehendes Studium von
der außerordentlichen Wichtigkeit der behandelten
Materie und der Originalität des Autors über-
zeugt hatte, von mir im Jahre 1910 in die deut-
sche Sprache übersetzt (A. Bogoljuboff „Teppiche
Zentralasiens“ Verlag Karl W. Hiersemann, Leipzig).
A. Bogoljuboff steht bezüglich der zentral-
asiatischen Teppiche mit nahezu sämtlichen Au-
toren, welche dieses Thema vor ihm behandelten,
auf einem gegensätzlichen Standpunkt. Dieser
Autor war eine zeitlang der Kommandant des
transkaspischen Gebietes, welches im Jahre 1885,
nach dem Falle von Geok-Tepe unter russische
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