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Grothe, Hugo [Bearb.]
Orientalisches Archiv: illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kulturgeschichte u. Völkerkunde der Länder des Ostens — 2.1911/​1912

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Zimmermann, Ernst: Wann ist das chinesische Porzellan erfunden und wer war sein Erfinder?
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https://doi.org/10.11588/diglit.69723#0056

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Wann ist das chinesische Porzellan erfunden und wer
war sein Erfinder?
Von Ernst Zimmermann-Dresden.

ann ist das chinesische Porzellan er-
funden worden? Diese Frage hat bis-
her bei uns in Europa Beantwortun-
gen gefunden, so verschiedenartige, wie wohl
selten eine. Denn die Chinesen wissen es selber
nicht genau. Und so glaubte man anfangs, d. h.
vor mehreren Jahrhunderten, als die Wissen-
schaft überhaupt so weit war, um sich mit sol-
chen Fragen zu beschäftigen, daß es bereits
zur Römerzeit vorhanden gewesen wäre, indem
man völlig irrtümlicherweise annahm, daß die
in dieser Zeit so ungemein geschätzten murrhi-
nischen Gefäße, in Wahrheit wohl Arbeiten aus
Achat, nichts anderes als chinesisches Porzellan
gewesen wären, das von so fernen Regionen zu
uns gekommen wäre, genau wie es damals mit der
nicht minder hoch geschätzten Seide geschah.
Dann war es am Beginn des 18. Jahrhunderts
der bekannte, damals in China lebende Jesuiten-
pater Pere d’Entrecolles, der ein gelehrter Mann
war und auch mit der dortigen Porzellanindu-
strie die innigste Fühlung hatte, der in einem
seiner zwei so ungemein lehrreichen, in den
Lettres edifiantes damals abgedruckten Briefen,
in denen er zum ersten Male dem hinsichtlich
dieser Sache so ungemein wißbegierigen Europa
so viele interessante Geheimnisse über das Por-
zellan und seine Herstellung verriet, mitteilt,
daß nach den Angaben der Chinesen dieses
aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor dem
5. Jahrhundert nach Christi Geburt erfunden
worden wäre. Nun aber kam die große Über-
raschung, die nicht geringes Aufsehen erregte.
Im Jahre 1834 entstiegen altägyptischen, schein-
bar ganz unberührten Gräbern, die nach ganz
sicherer Zeitbestimmung nicht weniger als schon
1800 Jahre vor Christi Geburt angelegt worden
waren, eine ganze Reihe von kleinen, mit chine-
sischen Inschriften versehenen Fläschchen, die
zum Erstaunen aller nichts anderes als chine-
sisches Porzellan darstellten. Damit waren alle
bisherigen Ansichten über diese Frage über den

Haufen geworfen. Es stand nun völlig fest,
daß tausende von Jahren vor Christi Geburt,
mithin zu einer Zeit, da alle sonstigen Kultur-
völker noch nicht über die ersten Stufen der
Keramik hinausgekommen waren, die Chinesen
schon im Besitz desjenigen keramischen Erzeug-
nisses gewesen waren, das noch bis auf den
heutigen Tag, also durch etwa 4000 Jahre hin-
durch, immer der unbestrittene Höhepunkt aller
Keramik geblieben ist. Das schien ein ganz be-
sonders günstiges Licht auch auf die gesamte
übrige damalige Kultur der Chinesen zu werfen:
frühreif erschien sie uns gegenüber den alten
Kulturen, die wir schon kannten. Ihr ganzes
Ansehen ward dadurch gehoben.
Doch nur recht kurze Zeit hat sich das chine-
sische Porzellan in den Augen der Europäer
eines so hohen Alters zu erfreuen gehabt. Da
stand es fest, daß hier ein Betrug geschehen,
so frech und doch so rätselhaft zugleich, wie
wohl die Wissenschaft kaum je einen wieder er-
lebt hat. Nichts anderes ward jetzt festgestellt
durch tüchtige Sinologen, als daß die auf einigen
dieser kleinen Flaschen befindlichen chinesischen
Verse erst im 1. Jahrhundert vor Christo in China
gedichtet worden waren, und die Schriftzeichen,
mit denen sie niedergeschrieben, waren sogar
solche, die erst im 8. Jahrhundert nach Christi
Geburt aufgekommen waren. Die kleinen Fläsch-
chen aber stellten dann gar, um diese1 Sache mög-
lichst grotesk zu machen, Tabaksfläschchen vor,
wie man sie damals noch zu jeder Zeit auf allen
Märkten in China erhandeln konnte. Damit war
der einzige Beweis für das so überhohe Alter
des chinesischen Porzellans zunichte — auf
welche Weise freilich diese so späten Erzeug-
nisse in die so alten und scheinbar so Unbe-
rührten Gräber gekommen, blieb völlig rätsel-
haft — die Wissenschaft gab diese Ansicht auch
sofort auf; die große Menge jedoch, die immer
so gern an das, was märchenhaft klingt, glaubt,
verharrt in diesem falschen Glauben zum großen


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