Polenteppiche (Polnische Knüpfteppiche)1.
Von T. Krygowski-Lemberg2.
Mit 4 Abbildungen auf 3 Tafeln (XI—XIII).
I. Einleitung.
Wer nach dem Ursprung der orientalischen
Teppichweberei forscht und die Herkunft der
Teppiche bestimmen will, dem treten bedeu-
tende Hindernisse in den Weg. Teppichkenner
und Teppichhändler stehen sehr oft vor einem
Erzeugnis der Handweberei, welches ihnen voll-
kommen rätselhaft in Betreff des Orts seiner
Entstehung erscheint.
Wenn es sich um Teppiche der letzten De-
zennien handelte, wäre es ein leichtes, annähernd
ihre Heimat zu bestimmen. Aber darüber zu
urteilen, an welchen Orten die alten Orient-
teppiche entstanden sind, ist geradezu ein Wag-
nis. Die Orientalen haben in früheren Jahr-
hunderten nur ausnahmsweise klare Nachrichten
über den Geburtsort eines Teppichs dadurch
1 Der vorliegende Aufsatz ist als Bruchstück einer be-
gonnenen größeren Arbeit über orientalische Teppiche zu
betrachten, die noch keinen Anspruch auf peinliche Voll-
kommenheit erheben kann. Ich bin unter voller Benutzung
der bisher vorliegenden Literatur zu dieser Studie ge-
schritten und habe mir die Anschauungen hervorragender
Forscher zu eigen gemacht, wo diese sich mit den meini-
gen decken. Die gegenwärtige Abhandlung kann daher
weder in jedem Punkte originell, noch vollkommen selb-
ständig sein. Es schien mir aber wünschenswert, daß ein
Versuch gemacht wird, das geschichtlich Erweisbare und
zu Datierende von dem im Bereich der Vermutungen und
phantastischen Konstruktionen Liegenden zu scheiden und
so den Weg anzubahnen, der zu verfolgen wäre, um in
dies Gebiet kunsthistorischer Forschung neues Licht zu
bringen. In den Illustrationen zu dieser Abhandlung
habe ich nur die geknüpften Wollteppiche polnischer Her-
kunft, nicht aber die gewirkten und die seidenen berück-
sichtigt. Letztere sollen später einmal von mir behandelt
werden.
2 Einer ehrenvollen Anregung von Seiten des Her-
ausgebers folgend, den ich gelegentlich der Münchner
Ausstellung von Meisterwerken mohammedanischer Kunst
kennen zu lernen das Vergnügen hatte, bearbeitete ich diese
Studie für das Orientalische Archiv. Dieselbe hat durch
Dr. Grothe einige notwendige Kürzungen und die dem
deutschen Sprachgeiste entsprechende stilistische Feilung
erfahren, wofür ich demselben meinen Dank ausspreche.
gegeben, daß sie die entsprechenden Angaben
in den Flor des Teppichs einwebten. Wir
tasten daher heute sehr oft über diese Frage
im Dunkeln. Deswegen ist uns eine jede Quelle,
die wir bei einem Geschichtsschreiber, bei einem
Annalisten (einem orientalischen so gut, wie
einem europäischen), oder in den archivalen No-
tizen einer Stadt oder Burg finden, für die Be-
stimmung von Alter und Herkunft eines Tep-
pichs von unschätzbarem Werte.
Es ist sonderbar, daß wir so vieler Winke,
die für die geschichtliche Entwicklung der Webe-
rei der polnischen Teppiche wichtig sein könn-
ten, heute fast vollkommen entbehren.
Vor allem, wenn wir heutigen Tages einen
Teppich kaufen, fragen wir selten, woher er
komme, und können auch noch seltener die
Wahrheit erfahren. Wir kaufen ihn, weil er uns
gefällt, weil seine Zeichnung, seine Textur, seine
Farben uns bezaubern. Aber es wäre seit langer
Zeit schon eigentlich erforderlich gewesen, den
Teppich, den wir erstehen, samt seiner getreu
gegebenen Genealogie zu erwerben und dem-
jenigen, dem wir den Teppich verkaufen, auch
den Geburtsschein des Teppichs als Dokument
seines Ursprungs beizugeben. Aber wer würde
solche Pässe hinsichtlich ihrer Richtigkeit prü-
fen? Es handelt sich also um ein Verlangen,
das immer nur ein pium desiderium bleiben wird.
Wenn wir genaue Kunde gewinnen wollen,
ob diese oder jene Gattung der Teppiche gerade
aus einem Orte, Lande oder einer gewissen Ge-
gend stammt oder nicht, welche Schritte haben
wir dann zur Feststellung der Tatsachen zu tun?
Erstens müssen wir im vermeintlichen Ur-
sprungsland nach der Ware suchen. Finden wir
solche Teppiche auf dem dortigen Markte, dann
sind wir zwar sicher, daß dieselben dort käuf-
lich sind, aber es ist noch kein Beweis erbracht,
daß sie dort gewebt wurden, ausgenommen,
wenn die Industrie noch in der betreffenden
Gegend zur Zeit unserer Reise lebendig ist und
die Ware noch immer exportiert wird. Wenn
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Von T. Krygowski-Lemberg2.
Mit 4 Abbildungen auf 3 Tafeln (XI—XIII).
I. Einleitung.
Wer nach dem Ursprung der orientalischen
Teppichweberei forscht und die Herkunft der
Teppiche bestimmen will, dem treten bedeu-
tende Hindernisse in den Weg. Teppichkenner
und Teppichhändler stehen sehr oft vor einem
Erzeugnis der Handweberei, welches ihnen voll-
kommen rätselhaft in Betreff des Orts seiner
Entstehung erscheint.
Wenn es sich um Teppiche der letzten De-
zennien handelte, wäre es ein leichtes, annähernd
ihre Heimat zu bestimmen. Aber darüber zu
urteilen, an welchen Orten die alten Orient-
teppiche entstanden sind, ist geradezu ein Wag-
nis. Die Orientalen haben in früheren Jahr-
hunderten nur ausnahmsweise klare Nachrichten
über den Geburtsort eines Teppichs dadurch
1 Der vorliegende Aufsatz ist als Bruchstück einer be-
gonnenen größeren Arbeit über orientalische Teppiche zu
betrachten, die noch keinen Anspruch auf peinliche Voll-
kommenheit erheben kann. Ich bin unter voller Benutzung
der bisher vorliegenden Literatur zu dieser Studie ge-
schritten und habe mir die Anschauungen hervorragender
Forscher zu eigen gemacht, wo diese sich mit den meini-
gen decken. Die gegenwärtige Abhandlung kann daher
weder in jedem Punkte originell, noch vollkommen selb-
ständig sein. Es schien mir aber wünschenswert, daß ein
Versuch gemacht wird, das geschichtlich Erweisbare und
zu Datierende von dem im Bereich der Vermutungen und
phantastischen Konstruktionen Liegenden zu scheiden und
so den Weg anzubahnen, der zu verfolgen wäre, um in
dies Gebiet kunsthistorischer Forschung neues Licht zu
bringen. In den Illustrationen zu dieser Abhandlung
habe ich nur die geknüpften Wollteppiche polnischer Her-
kunft, nicht aber die gewirkten und die seidenen berück-
sichtigt. Letztere sollen später einmal von mir behandelt
werden.
2 Einer ehrenvollen Anregung von Seiten des Her-
ausgebers folgend, den ich gelegentlich der Münchner
Ausstellung von Meisterwerken mohammedanischer Kunst
kennen zu lernen das Vergnügen hatte, bearbeitete ich diese
Studie für das Orientalische Archiv. Dieselbe hat durch
Dr. Grothe einige notwendige Kürzungen und die dem
deutschen Sprachgeiste entsprechende stilistische Feilung
erfahren, wofür ich demselben meinen Dank ausspreche.
gegeben, daß sie die entsprechenden Angaben
in den Flor des Teppichs einwebten. Wir
tasten daher heute sehr oft über diese Frage
im Dunkeln. Deswegen ist uns eine jede Quelle,
die wir bei einem Geschichtsschreiber, bei einem
Annalisten (einem orientalischen so gut, wie
einem europäischen), oder in den archivalen No-
tizen einer Stadt oder Burg finden, für die Be-
stimmung von Alter und Herkunft eines Tep-
pichs von unschätzbarem Werte.
Es ist sonderbar, daß wir so vieler Winke,
die für die geschichtliche Entwicklung der Webe-
rei der polnischen Teppiche wichtig sein könn-
ten, heute fast vollkommen entbehren.
Vor allem, wenn wir heutigen Tages einen
Teppich kaufen, fragen wir selten, woher er
komme, und können auch noch seltener die
Wahrheit erfahren. Wir kaufen ihn, weil er uns
gefällt, weil seine Zeichnung, seine Textur, seine
Farben uns bezaubern. Aber es wäre seit langer
Zeit schon eigentlich erforderlich gewesen, den
Teppich, den wir erstehen, samt seiner getreu
gegebenen Genealogie zu erwerben und dem-
jenigen, dem wir den Teppich verkaufen, auch
den Geburtsschein des Teppichs als Dokument
seines Ursprungs beizugeben. Aber wer würde
solche Pässe hinsichtlich ihrer Richtigkeit prü-
fen? Es handelt sich also um ein Verlangen,
das immer nur ein pium desiderium bleiben wird.
Wenn wir genaue Kunde gewinnen wollen,
ob diese oder jene Gattung der Teppiche gerade
aus einem Orte, Lande oder einer gewissen Ge-
gend stammt oder nicht, welche Schritte haben
wir dann zur Feststellung der Tatsachen zu tun?
Erstens müssen wir im vermeintlichen Ur-
sprungsland nach der Ware suchen. Finden wir
solche Teppiche auf dem dortigen Markte, dann
sind wir zwar sicher, daß dieselben dort käuf-
lich sind, aber es ist noch kein Beweis erbracht,
daß sie dort gewebt wurden, ausgenommen,
wenn die Industrie noch in der betreffenden
Gegend zur Zeit unserer Reise lebendig ist und
die Ware noch immer exportiert wird. Wenn
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